Leben für die
Gemeinde
Zum Andenken an die jüdische Arztfamilie Levi aus Pfalzgrafenweiler
Von Andreas Hirling
Pfalzgrafenweiler liegt in Baden-Württemberg im Nordschwarzwald, ca. 70
km südlich von Stuttgart. Rein zufällig ist Andreas Hirling auf das
Schicksal der jüdischen Arztfamilie Levi in der Gemeinde gestoßen.
Innerhalb weniger Monate recherchierte er über dieses Tabu-Thema und
hielt seitdem Vorträge, organisierte eine Gedenkstättenfahrt und
arbeitet an einem Buchprojekt. Der hier vorgestellte Text wird als
Beitrag für das Freudenstädter Jahrbuch 2002 erscheinen.
Für den Kreis Freudenstadt werden in der Stuttgarter Boykottbroschüre neun Juden
genannt, unter Ihnen Julius und Adolf Levi (1). In der Einleitung diese
Hetzbroschüre heißt es:
"Was hat die Emigranten- und sonstige
Judenpresse...nicht alles zusammengeschmiert über angebliche Judenverfolgungen
in Deutschland. Wer diesen Lügen glauben wollte, müsste annehmen, dass es zu den
Gewohnheiten des deutschen Volkes gehörte, jüdische Geschäfte zu plündern und
arme unschuldige Juden totzuschlagen. Und was geschieht in Wirklichkeit? Kein
Mensch tastet den Juden an, wenn er sich den neuen Gesetzen unseres Lebens fügt,
wenn er begriffen hat, dass wir nichts anderes als die reinliche Scheidung
seiner und unserer Art wollen. Man nimmt ihm weder sein Eigentum noch sein
Leben, auch seine Freiheit ist nicht bedroht, solange er die Grundsätze des
nationalsozialistischen Staates respektiert." (2)
Das Jahr 2001 ist in doppelter Hinsicht ein Jubiläumsjahr, das Sanitätsrat Dr.
Julius Levi gewidmet werden sollte. Erstens ist er seit 100 Jahren Ehrenbürger
der Gemeinde Pfalzgrafenweiler und zweitens wäre Sanitätsrat Dr. Julius Levi in
diesem Jahr 150 Jahre alt geworden.
Die Beschäftigung mit diesem Thema war
längst überfällig. Es gibt nicht mehr viele Menschen, die sich an Familie Levi
erinnern können, von denen allerdings nur die wenigsten bereit waren, sich
hierzu zu äußern, so dass weitgehend auf schriftliche Quellen zurückgegriffen
werden musste.
Es gab neben dem unermüdlichen Bemühen
der Nachkommen Julius Levi natürlich auch viele Ansätze, dem Schicksal der Levis
gerecht zu werden. Erst der Schwarzwaldverein Pfalzgrafenweiler versuchte sich
ernsthaft für ein Gedenken an sein Gründungsmitglied einzusetzen. In seiner
Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Schwarzwaldvereins Pfalzgrafenweiler
schrieb Friedrich Haug: "Die bürgerlichen Gremien der Gemeinde Pfalzgrafenweiler
haben in der Nachkriegszeit, warum auch immer, keine Rehabilitation des einzigen
Ehrenbürgers vorgenommen." Die Benennung einer Straße in einem geplanten
Neubaugebiet und die Errichtung eines Gedenksteins mit Bank auf einer Grüninsel
an der Einmündung eben dieser Straße geht auf seine Initiative zurück. Ich bin
nur durch einen Zufall auf die Geschichte der Familie Levi in Pfalzgrafenweiler
gestoßen. Als ich mehr darüber erfahren wollte gab es einige Widerstände, aber
bei weitem überwog die Zustimmung und Unterstützung.
Parallel zu meinen Recherchen wurde im Gemeinderat Pfalzgrafenweiler
über die Anbringung einer Gedenktafel am Rathaus verhandelt.
Buchstäblich in letzter Minute konnte über die Enkel von Julius Levi
Einfluss auf die Textgestaltung genommen werden, so dass von
Bürgermeister Bischoff, entgegen dem Gemeinderatsbeschluss mit seinem
rein biografischen Entwurf, ein Hinweis auf die Verfolgung der Familie
im Nationalsozialismus aufgenommen wurde. Der zwar immer noch
verharmlosende Text der Gedenktafel lautet nun:
"In diesem Haus wohnte mit seiner Familie und arbeitete als Arzt
und Wohltäter von 1876 bis 1937 der jüdische
Sanitätsrat und Ehrenbürger der Gemeinde Pfalzgrafenweiler, Dr. Julius Levi.
Die Familie Levi wurde in der Zeit
der nationalsozialistischen Herrschaft verfolgt.
Gemeinde Pfalzgrafenweiler" |
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Das Anliegen meiner Recherchen war es, darüber hinausgehend, die Geschichte der
Familie Levi so umfassend wie möglich unter Darstellung und Dokumentation aller
relevanten, noch erhaltenen Quellen darzustellen und auch zu sichern, also die
Geschichte hinter der Tafel zu erzählen. Möglichen Geschichtsfälschungen oder
Verharmlosungen wollte ich damit entgegentreten. Denn sogar noch nach 1981 sind
die Akten "Juden" und "Ortsärzte" aus dem Archiv der Gemeinde Pfalzgrafenweiler
"verschwunden" Sie blieben trotz intensiver Suche unauffindbar. Immerhin habe
ich Kopien einiger Schlüsseldokumente gerade aus diesen Akten entdecken können.
Die Schriftstücke aus der Akte "Ehrenbürger" sind ebenfalls verschwunden. Es
fiel mir äußerst schwer, aus den zahlreichen Schrift- und Bildquellen eine
Auswahl zu treffen. Auch und gerade die unbeugsame Haltung der evangelischen
Pfarrer und der Kirchengemeinde hätten eine umfangreiche Darstellung verdient.
Mein für das nächste Jahr geplantes Buch zu dem Thema wird diese Lücken füllen.
Warum Heimatgeschichte?
Heute noch, mehr als ein halbes
Jahrhundert nach Kriegsende, ist die Vergangenheitsbewältigung bezüglich der
Zeit des Nationalsozialismus immer noch ein Reizthema. Es gibt immer wieder
Stimmen, die fordern, man müsse endlich einen Schlussstrich ziehen. Wie kann man
aber einen Schlussstrich ziehen, wenn man nie wirklich angefangen hat, die
Vergangenheit aufzuarbeiten? Solange dies nicht geschieht, kann es keine
Versöhnung geben und Vergangenes nicht vergehen und eben nicht Geschichte
werden. Wie soll man sich für Recht, für Gerechtigkeit einsetzen, wenn man das
Unrecht nicht kennt? Unsere Verpflichtung besteht darin, verantwortlich mit
unserer Geschichte umzugehen. Geschichte handelt nicht nur vom Vergangenen, sie
weist auch über ihre Zeit hinaus. Die vermeintliche "Gnade der späten Geburt"
ist eine Verpflichtung. Das hat nichts mit Kollektivschuld, sondern mit
Kollektivverantwortung zu tun. Das Wissen um den Ausgang der Geschichte verführt
leicht zu einer Arroganz gegenüber den Menschen von damals.
Es dürfte klar sein, dass bei einem anderen Geschichtsverlauf, die Täter von
gestern die Helden von heute gewesen wären. Was ist es, was uns zum Täter,
Widerstandskämpfer oder Mitläufer werden lässt? Wie wäre es der jüdischen
Familie Levi wohl ergangen, wenn sie nicht die Familie eines Arztes und
Wohltäters, sondern eines Viehjuden gewesen wäre? Wie hätten wir uns verhalten?
Spurensuche
Julius Levi wurde am 29. Juli 1851 in
Dornhan geboren. Er wuchs in Dornstetten auf und wurde Arzt, wie sein aus Bad
Buchau stammenden Vater Josef Levi. Der angesehene jüdische Sanitätsrat und
Ehrenbürger der Gemeinde Pfalzgrafenweiler Dr. Julius Levi war von 1876 bis 1926
Orts- und Distriktsarzt in Pfalzgrafenweiler. Bis nach Seewald-Göttelfingen
führten ihn seine Arztbesuche. Dr. Julius Levi hatte den Ruf eines großen
Wohltäters für Patienten und Gemeinde. Er war nicht nur Mitbegründer des
Schwarzwaldvereins Pfalzgrafenweiler, sondern auch Mitglied im Liederkranz,
Teilnehmer am berühmten "Runden Tisch" im Schwanen in Pfalzgrafenweiler und
Vorstand der Spar- und Darlehenskasse. Sein Ruf als Wohltäter reichte weit über
die Gemeindegrenzen hinaus und ist auf seine selbstlose und segensreiche
Tätigkeit als Orts- und Distriktsarzt zurückzuführen. Mittellose Patienten
wurden von ihm kostenlos behandelt. Als Bürger der Gemeinde zeichnete er sich
durch zahlreiche Spenden und Stiftungen in der kirchlichen und bürgerlichen
Gemeinde aus.
Ernennung zum Ehrenbürger (1901) und zum Sanitätsrat (1907)
In der Gemeinderatssitzung vom 13.
Oktober 1901 beschließt der 9-köpfige Gemeinderat, verstärkt durch einen für
diesen Anlass gebildeten, ebenfalls 9-köpfigen Bürgerausschuss Dr. Julius Levi
das Ehrenbürgerrecht zu verleihen. (3)
Das Altensteiger Amtsblatt "Aus den
Tannen" berichtete am 05.11.1901 über die Ehrung folgendes:
"Unser verehrter Herr Dr. Levi
praktiziert hier seit 25 Jahren in unserer Gemeinde. Diesen Anlass wollte man
hier nicht vorübergehen lassen, ohne dem Jubilar durch Veranstaltung einer
Feierlichkeit eine gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Die
Jubiläumsfeier fand nun heute Nachmittag im Gasthof zum `Schwanen´ statt; sie
gestaltete sich zu einer für den Gefeierten überaus ehrenden Kundgebung. Die
Beteiligung war eine so zahlreiche, dass der Saal des `Schwanen´ nicht alle
Teilnehmer aufnehmen konnte...Zunächst ergriff Hr. Oberförster Nördlinger das
Wort, hieß die Teilnehmer herzlich willkommen und verband damit den Wunsch, die
Feier möge einen schönen, frisch-fröhlichen Verlauf nehmen. Hr. Sägewerkbesitzer
Fezer dankte für den so zahlreichen Besuch und teilte mit, dass ihm die Aufgabe
zuteil geworden sei, dem verehrten Jubilar namens der Festversammlung die
herzlichsten Glück und Segenswünsche darzubringen. Der Redner gab nun ein Bild
der aufopfernden Pflichttreue des Jubliars; bei den schlimmsten
Witterungsunbilden bei Nacht oder Tag sei ihm kein Weg zu weit, kein Weg zu
schlecht gewesen, nie sei er wankend geworden, wo es galt, seinen Patienten
ärztliche Hilfe zu leisten...Schließlich dankte (der, Anm. Hirling) Redner dem
Jubilar für Alles, was er in den 25 Jahren an den Krankenbetten Gutes getan und
wünschte, dass ihn die Gemeinde noch recht lange als arbeitsfreudigen Arzt
behalten dürfe und fasste seine guten Wünsche in dem Rufe zusammen: `Unser
lieber Dr. Levi, er lebe hoch, hoch, hoch!´ Der Liederkranz stimmte in das Hoch
ein und ließ dasselbe in vollen Tönen ausklingen. Hr. Oberförster Nördlinger
feierte Frau Dr. Levi durch ein 3-maliges Hoch; ohne der Frau stilles Wirken
hätte der Herr Gemahl nicht so erfolgreich tätig sein können.
Herr Schultheiß Decker hob ferner hervor,
wie Herr Dr. Levi in den 25 Jahren seiner Wirksamkeit stets arm und reich mit
gleicher Pflichttreue behandelt habe. Aber nicht bloß als Arzt, sondern auch als
Mensch habe er der Gemeinde die ersprießlichsten Dienste geleistet durch sein
warmes Eintreten für Hebung der Verkehrsverhältnisse und Gemeindeeinrichtungen,
der Wasserleitung etc., und freiwillig habe er für Gemeindezwecke sich pekuniäre
Opfer auferlegt. Herr Schultheiß teilte dann mit, dass die bürgerlichen
Kollegien beschlossen hätten, Herrn Dr. Levi zum Ehrenbürger zu ernennen, was
mit Bravo begrüßt wurde. Der Ehrenbürgerbrief, kunstvoll ausgeführt, enthält
folgenden Wortlaut: `Ehrenbürger-Brief
Herrn Dr. med. Julius Levi, Distriktsarzt
in Pfalzgrafenweiler, bringen die bürgerlichen Kollegien von Pfalzgrafenweiler
für dessen ersprießliche Tätigkeit als Ortsarzt in hiesiger Gemeinde und des von
ihm für das Wohl der Gemeinde sowohl als der einzelnen Einwohner stets betätigte
rege Interesse die Gefühle der Dankbarkeit und Anerkennung dadurch zu
gebührendem Ausdruck, dass sie ihn zum Ehrenbürger der Gemeinde
Pfalzgrafenweiler ernennen.
Pfalzgrafenweiler, 3. Nov. 1901. Gemeinderat und Bürgerausschuss
...Der Gefeierte Hr. Dr. Levi, führte
hierauf etwa folgendes aus:..Aber herzlichen Dank möchte ich dafür aussprechen,
dass mir die ganze Gemeinde mit Vertrauen entgegenkam ich konnte jederzeit
sagen, in Pfalzgrafenweiler hast du einen neue Heimat gefunden und dieses
Vertrauen hat mich aufrecht erhalten. Die zuteil gewordene Ehre soll mir ein
Sporn sein, sowohl als Arzt wie als Bürger für das Wohl der Gemeinde auch
fernerhin zu wirken, in guten wie in schlimmen Tagen." (4)

Familie Levi um 1910
50-jähriges Amtsjubiläum und Ruhestand (1926)
Die Schwarzwald-Zeitung "Der Grenzer"
berichtete am 05.10.1926 zu seinem 50-jährigen Dienstjubiläum:
"Im tannenreis- und blumengeschmückten
Saal des Gasthofes zum Schwanen hier fanden sich heute Sonntag Nachmittag viele
Freunde, Kollegen und dankbare Menschen ein, um an der Jubelfeier die Festfreude
zu teilen mit dem nach 50-jähriger treuer Berufserfüllung in den wohlverdienten
Ruhestand getretenen Jubilar Herrn Sanitätsrat Dr. Levi. Aus der ganzen Umgebung
kamen auch Vertreter von Gemeinden seines Distrikts herbei, um im Kreise der
zahlreichen Familie und der Verwandten dem hochgeschätzten Jubilar dankerfüllt
die Hand zu drücken. Was der verehrte Jubilar als Landarzt den hilfesuchenden
Einwohnern seines Distrikts in diesen 50 Jahren gewesen, welche Wertschätzung
der Jubilar bei seinen Herren Kollegen genoss, in welcher Hochachtung er heute
noch bei seinen Freunden und Bekannten steht, das kam in dem acht Stunden
währenden feuchtfröhlichen Zusammenseins von verschiedenen Festgästen in
beredten, von Herzen zu Herzen dringenden Worten, immer und immer wieder, von
stürmischem Beifall begleitet, zum Ausdruck. Den Reigen der Festredner eröffnete
Schultheiß Decker hier. Er dankte allen Gästen für ihr Erscheinen am Jubeltage
des hochverdienten Sanitätsrats der in dieser langen Zeit immer ein Vorbild
treuester Pflichterfüllung gewesen sei. Neben der Tätigkeit als Arzt hatte er
stets das Wohl der Gemeinde im Auge und bei allen das Gemeindewohl
interessierenden Fragen hörte man gern auf seinen verständnisvollen Rat. Zum
Dank dafür überreichte der Redner dem Jubilar namens der Gemeinde einen hübschen
ledernen Ruhesessel. Dass unser würdiger Jubilar noch lange nach den ruhelosen
Jahren diesen Sessel zum behaglichen Ausruhen benutzen möge, das war der
Herzenswunsch des Redners. Hermann Fezer sr. feierte Herrn Sanitätsrat im Namen
der Freunde vom `runden Tisch´ und der ungezählten wiedergenesenen Patienten von
nah und fern...Im Auftrag des Ärztevereins gratulierte Dr. Bubenhofer in
herzlichen Worten dem tiefgerührten Jubilar, der als Landarzt den schwersten
Beruf 50 Jahre lang unübertroffen ausgeübt habe. Bei dem Rückblick auf das Leben
während seiner ärztlichen Tätigkeit können man nur sagen: Wenn es köstlich war,
so ist es Mühe und Arbeit gewesen, denn der ersten Berufspflicht des Arztes,
heilen und helfen zu wollen, sei der Jubilar in vorbildlicher Weise
nachgekommen. Wohl habe er sich seinen Feierabend anders gedacht, aber die
Kriegszeit mit ihren traurigen Begleiterscheinungen habe pekuniär auch ihm
manche Enttäuschung gebracht. Nur eines könne den treuen aufopferungswilligen
Jubilar noch erquicken und das sei der heiße Dank, der ihm aus so vielen
Familien beim Eintritt in den Ruhestand bekundet wurde. Und diesen Dank können
die Gemeindeglieder aufs schönste bekunden, wenn sie dem hoffnungsvollen Sohn
als dem würdigen Nachfolger des verdienstvollen Vaters nunmehr die Stimme geben.
Das wäre die lauterste und reinste Freude des Jubilars an seinem
Lebensabend...Kaufmann Heintel drückte im Auftrag des Liederkranzes dem
Mitbegründer des Vereins freudigen Dank aus und schloss seine Rede mit der
herzlichen Bitte an den Jubilar, dem Verein auch künftig die Treue zu halten.
Die Glückwünsche des Schwarzwaldvereins überbrachte Notar Heide dem eifrigen
Mitglied und dankte dem erfolgreichen Mitgliedwerber für seine ersprießliche
Tätigkeit im Verein...Max Kappler feierte in einem sinnigen Gedicht den
trefflichen, auch in Sturm und Wetter unermüdlichen Arzt und Helfer, den aufs
Wohl der Gemeinde bedachten Mitbürger, den opferbereiten Hüter und Verehrer des
deutschen Liedes, den Mitbegründer des Liederkranzes, dessen Stütze und Stolz er
bleiben möge...So flossen die Feierstunden in anregender Weise dahin und lange
noch nach der Mitternachtsstunde saß der gefeierte Jubilar in dem überreichten
Ruhestandssessel und um ihn und seine Angehörigen eine Schar von Verehrern und
Verehrerinnen, die sich herzlich mit ihm freuten, mit dem geschätzten Jubilar
diese Feier gemeinsam gefeiert zu haben; allen Teilnehmern wird sie in
angenehmer Erinnerung bleiben." (5)

Julius Levi und Frau um 1935
Drohgebärde gegen Gegner und
Unentschlossene (1936)
Daß nicht alle Weiler Bürger im
Nationalsozialismus den Anbruch einer neuen Zeit sahen, wird am folgenden Aufruf
deutlich, den der Pfarrverweser Karl Sihler für die Nachwelt rettete und in
seinem Bericht zu den Vorgängen um das Grabgeläute erwähnte:
"Bekanntmachung
Deutschland führt z.Zt. einen harten
Kampf um seine Existenz. Der internationale Jude versucht uns wirtschaftlich
und, als Führer des Weltbolschewismus, auch politisch zu erledigen.
Die ganze Kraft des Volkes muss deshalb
kompromisslos gegen diese Feinde der Nation und der ganzen anständigen
Menschheit eingesetzt werden. - Kein Volksgenosse darf sich heute außerhalb
unserer gemeinsamen Abwehrfront befinden. Wer in Zeiten so gewaltigen Geschehens
nur lau und uninteressiert zusieht, oder gar meckernd u. nörgelnd zu sabotieren
sucht, der stellt sich damit außerhalb der Volksgemeinschaft und wird
entsprechend behandelt.
Wir haben jetzt 4 Jahre lang zugewartet
und gehofft, dass alle Anständigen in dieser Zeit den Kampf des
Nationalsozialismus für unser Volk verstehen gelernt und die innere und äußere
Bereitschaft zur Mitarbeit gefunden haben würden. Wir haben deshalb ausnahmslos
allen die Vergünstigungen von Ehestandsdarlehen, Kinderbeihilfen, Bauzuschüssen
usw. ermöglicht und geglaubt, dadurch einer Anerkennung unseres guten Willens,
eine Würdigung der großen Leistungen des Nationalsozialismus und die
Bereitschaft zu persönlicher Mitarbeit zu gewinnen.
Unsere Erwartungen haben sich nicht bei
allen erfüllt. Es gibt auch heute noch Zeitgenossen, die niemals bereit sind
irgendwo praktisch mitzuarbeiten und, sich auf ihre höhere Vernunft berufend,
sogar die Frechheit erlauben, anderen Volksgenossen, die Zeit, Kraft u. Geld
opfern, ihre `Dummheit´ vorzuhalten. Böswillig und gedankenlos übersehen diese
Leute all die ungeheuren Leistungen des Führers und seiner Gefolgschaft. So
bedenkenlos sie für all ihr persönliches Missgeschick und Unvermögen den
Nationalsozialismus verantwortlich machen und deshalb jede Mitarbeit ablehnen,
so bedenkenlos und selbstverständlich machen diese Leute ihren `Anspruch´ auf
alle Vergünstigungen, Verbesserungen und Unterstützungen des nat.-soz. Staats
geltend.
Der Führer selbst hat gesagt, dass er von
jedem Deutschen, der Anstand und Charakter hat, erwarte, dass er sich der
Kolonne des Nationalsozialismus anschließe. In dem Maß wie der einzelne seine
Pflicht in dieser Kolonne auffasst und tut, in dem Maß wird er auch einen
Rechtsanspruch an die Gesellschaft haben. Wer sich außerhalb dieser Gesellschaft
stellt, ist rechtlos!
Das bedeutet, dass jeder, der
noch irgend welche persönliche, familiäre, geschäftliche oder sonstige
Verbindung zu Juden aufrecht erhält, wer bei Versammlungen,
Abstimmungen, bei Sammlungen, beim Schmücken der Häuser, beim Grüssen,
durch Preistreiberei usw., kurz wer durch seine äußere Haltung seine
innere antinationalsozialistische Einstellung zum Ausdruck bringt, der
wird künftig damit rechnen müssen, · dass er, wenn er Beamter,
Angestellter oder Arbeiter der Gemeinde ist, sich sofortiger fristloser
Entlassung aussetzt. · dass er keinerlei Arbeits- oder Lieferungsauftrag
mehr von der Gemeinde oder vom Staat erhält. · dass er sich von allen
Vergünstigungen, Nachlässen, Beihilfen u. Unterstützungen seitens der
Gemeinde und des Winterhilfswerkes ausschließt. · dass er künftig seiner
tatsächlichen Einstellung entsprechend nach politisch beurteilt wird,
was ihn dann von Ehestandsdarlehen, von Bau-, Wirtschafts- und
Kinderbeihilfen ausschließt.
Wer schon bisher seine Pflicht getan hat,
der wird diese Anordnung begrüßen.- Den andern sei sie eine letzte Bitte und
Warnung!
Pfalzgrafenweiler, den 27. Oktober 1936.
NSV-Walter: Ortsgruppenleiter der NSDAP Bürgermeister: Pross Bellon Luz" (6)
Trauer um Julius Levi (1937)
Julius Levi verstarb am 11. Mai 1937 im
Alter von 86 Jahren. Weil der damalige Pfarrverweser Sihler, bzw. der Pfarrvikar
Ulrich Bachteler für Dr. Julius Levi die evangelischen Glocken während des
Trauerzuges läuten ließ, war in der Hetzzeitung "Flammenzeichen" folgendes zu
lesen:
"Evangelisches Grabgeläute für einen
Juden!"
Dass auch die Juden dem Tod unterworfen
sind - trotz ihrer von 'aufrechten Bekennern' so hartnäckig verkündeten
'Auserwähltheit' - ist bekannt. Dass tote Juden begraben werden müssen, ist
selbstverständlich. Dass Rabbiner und andere Glaubensgenossen hinter dem Sarge
hergehen, scheint uns natürlich und niemanden in Deutschland wird es einfallen,
die Juden daran zu hindern, wenn sie in ihren Kreisen einen Akt der Pietät üben
wollen. Aber was haben deutsche Volksgenossen bei einem Judenbegräbnis zu
suchen? Wie kürzlich in Pfalzgrafenweiler, wo sich so und so viele arische
Einwohner...verpflichtet fühlten, dem jüdischen Arzt Dr. Levi das letzte Geleit
zu geben. War es Neugierde, also bloß Dummheit oder gar die Absicht zu
demonstrieren? Wir wollen hierüber nicht entscheiden. Wir wollen nur
feststellen, dass das Mitlaufen auf jeden Fall unangebracht war, weil Deutsche
und Juden heute nichts mehr gemein haben sollen. Nun wird uns aber berichtet,
dass während des Begräbnisses, d. h. während die Leiche des jüdischen Arztes,
die an einem anderen Ort bestattet wurde, die Glocken der evangelischen Kirche
läuteten. Das kann doch nur Zufall gewesen sein...Oder doch?" (7)
Die Bürger, die Levi das letzte Geleit
gaben, sind fotografiert und möglicherweise auch gefilmt worden. Sie mussten
sich in den nächsten Tagen teilweise auf dem Rathaus rechtfertigen.
Der Pfarrverwesers Karl Sihler äußerte sich am 9. Juni 1937 zu den Vorgängen um
das Grabgeläut wie folgt:
"Am Mittwoch, den 12. (tatsächlich am 11.
Mai, Anm. Hirling) Mai 1937, starb hier in Pfalzgrafenweiler der allseitig
geschätzte Dr. med. Julius Levi. Seine allgemeine Hochachtung, die ihm auch die
Verleihung der Ehrenbürgerrechte eintrug, kommt nirgends besser zum Ausdruck,
als in der ortsüblichen Bezeichnung `Vater von Pfalzgrafenweiler´. Er war früher
Burschenschafter und als ein solcher ein kerndeutscher Mann, dem niemand das
Gegenteil nachweisen konnte, obwohl nach der Revolution 1933 die Bestrebungen
darauf gerichtet waren, ihn in dieser Weise unschädlich zu machen...Sein Sohn
Adolf Levi hiesiger Arzt, trat zur evang. Kirche über und heiratete die Tochter
einer sehr angesehenen hiesigen Apothekersfamilie. Auch der alte Levi äußerte
oft, das er im Herzen bei der ev. Kirche stehe, aber als alter Mann da bleiben
wolle, wo er seither gestanden habe. Mit beiden Familien stand der verstorbene
Amtsvorgänger Pfarrer Klemm in engem seelsorgerlichen Verhältnis, auch als sich
dem ernstliche Schwierigkeiten in den Weg stellten. Die politische Leitung der
Gemeinde konnte sich damit nicht abfinden, dass die beiden Häuser Levi auch nach
der Revolution weiterhin trotz aller Vermahnungen, `Stürmeraushänge´ usw.
überall in der Gemeinde in großem Ansehen stand. Sie begann deshalb den Kampf
gegen Levi: sie entzog ihm alle Rechte, die ihm als früherem Gemeindearzt
zustanden (Krankenkassenzulassung etc.), das richtete sich alles gegen den Sohn
Adolf; der alte Levi war ja inzwischen in den Pensionsstand getreten, er behielt
weiterhin seine Amtswohnung im Rathaus II. Stock und das Ehrenbürgerrecht; nur
sein Schild am Rathaus wurde heimlich entfernt. Trotz aller Kampfansage gegen
den Juden war der Zulauf, den der junge Arzt hatte, weiterhin genoss...Von allen
diesen Vorgängen hatte der alte Sanitätsrat keine Ahnung, weil er in den letzten
Jahren seine Wohnung nicht mehr verlassen konnte...An diesem folgenden Tage nun,
Freitag den 14.5., erschien vormittags um 11 Uhr Bürgermeister Luz persönlich
auf dem Amtszimmer. Er gab an, das beschlossene und angeordnete Geläute könne
unmöglich stattfinden. Wenn er gewusst hätte, dass der Kirchengemeinderat diese
Sache beschließen wolle, wäre er anstelle des verhinderten Ortsgruppenleiters
erschienen und hätte einen solchen Entschluss verhindert! Ich sagte ihm, was
vorlag und wies ihn darauf hin, dass der einstimmig gefasste Entschluss nicht
mehr rückgängig gemacht werden könne...Gut, erwiderte er, dann wird die
bürgerliche Gemeinde hinfort ihre Beiträge an die kirchliche Gemeinde
einstellen! Ich gab ihm die Peinlichkeit solcher Vorhaltungen zu verstehen, dass
ein solches Höherhängen des Brotkorbes zwar äußerst beliebt, aber in diesem
Falle eindruckslos sei, dann aber auch rechtlich unmöglich sein. Diese Beiträge
(300 RM zu Messner-Organistengehalt und Geläute) seien rechtlich begründet. Es
müsse auf die Partei zurückfallen, wenn sie in ihrem Kampf auf solche
Druckmittel verfalle und könne sie hier in ihrem Kampf höchstens hindern,
niemals aber fördern! Es war ihm dann anzumerken, dass solche Vorhaltungen doch
einen gewissen Eindruck auf ihn machten; er gab mir im darauffolgenden Gespräch
auch zu: dass er mich verstehen könne, wenn ich es ihm gegenüber als einen Akt
der Anständigkeit bezeichnete, was die Kirche hier tue, es könne ihm ja nur
angenehm sein, wenn wenigstens die kirchliche Gemeinde dem Ehrenbürger von
Pfalzgrafenweiler einen ehrenvollen Abschied von seiner Heimat ermögliche; er
könne dann doch, wenn je vorgeordnete Stellen daran Anstoß nehmen würden, die
Sache dann der sowieso verlästerten Kirche verantwortlich in die Schuhe
schieben! Er sagte in dem Zusammenhang sogar den Satz: "es gebe im heutigen
Kampf gegen die Juden immer noch zu anständige Menschen, die sich scheuten,
nötig gewordene Konsequenzen zu ziehen!" (8)
Nach dem Grabgeläute trat Bürgermeister Luz aus der Kirche aus:
"Als Deutsche und
Nationalsozialistenkönnen wir nur einer Organisation angehören, die ideale Ziele
auch tatsächlich verfolgt und sich nicht im Gegensatz zu den natürlichen und
göttlichen Gesetzen von der Erhaltung der eigenen Art setzt. Unsere innere
Haltung verbietet es uns, länger einer Organisation Mittel zur Verfügung zu
stellen, welche sich dem Lebenskampf unseres Volkes und Führers gegenüber nur
passiv und negativ verhält, anstatt ausschließlich bei ihrer eigentlichen
Aufgabe zu bleiben.
Wir erblicken in der Forderung des
Nationalsozialismus dem Volke zu dienen und in dem Gebot Gott zu gehorchen
keinen Gegensatz, wir sind vielmehr der Auffassung, dass man Gott dient indem
man sich für sein Volk, für seinen Nächsten einsetzt. Und wir betrachten deshalb
jeden Anwurf gegen den Nationalsozialismus als eine niederträchtige pharisäische
Äußerung von Schriftgelehrten.
Immer mehr anständige Deutsche werden
sich von diesen Pharisäern abwenden, wenn diese nicht rechtzeitig noch zu ihrer
eigentlichen Aufgabe zurückfinden. Um diese Selbstbesinnung zu erleichtern,
erklären wir hiermit, auch gleichzeitig für unsere Kinder den Austritt aus der
evangelischen Landeskirche..." (9)
Adolf Levi
Der zweitjüngste Sohn Julius Levi stand
im Ruf ein ausgezeichneter Arzt gewesen zu sein und war ein angesehener Bürger.
Zunächst übte er seine Praxis nach der Übernahme der väterlichen Praxis, im
Rathaus aus. Nach Fertigstellung seines Hauses 1929/30 befand sich seine Praxis
dort in der Burgstraße. Selbst zur Zeit des Nationalsozialismus gab es Nazis,
die lieber zu ihm als zu Dr. Kalesse gingen. (10)

Adolf Levi und Frau Margot um 1930
Entzug der Kassenzulassung (1933)
"Noch in der Amtszeit von Bürgermeister
Küenzlen, hiesigem Ortsgruppenleiter der NSDAP, erging der Beschluss des
Gemeinderats, gemäß dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom
7.4.1933. mit dem die Entlassung politisch missliebiger und 'nichtarischer'
Beamter juristisch bemäntelt wurde, dem Sohn und Nachfolger des Pensionärs, Dr.
med. Adolf Levi als Ortsarzt fristlos zu kündigen." (11)
"Als die Nationalsozialisten am 22. April
1933 per Verordnung den jüdischen Ärzten die Zulassung zu den Krankenkassen
entziehen, weil sie in der großen Zahl jüdischer Ärzte eine "ernste Gefahr für
das deutsche Volk" sehen, trifft das auch Dr. Adolf Levi. Hilfesuchend wendet er
sich an den Gemeinderat, der ihn unterstützt und ausführt (12), ´dass die
Familie Levi seit 50 Jahren in der hiesigen Gemeinde wohnt und sich allmählich
vollkommen eingebürgert hat... Die verheirateten Kinder von San. Rat Levi haben
durchweg evangelische Ehegatten. Die ganze Familie hat bisher vaterländischen
Geist an den Tag gelegt... Der Gesuchsteller, Adolf Levi, ist selbst evangelisch
getauft und hat eine evangelische Frau, und zeigte bei der Erstellung seines
Wohngebäudes eine gute Gesinnung insbesondere dadurch, dass er sämtliche
Arbeiten an seinem Neubau durch hiesige Handwerker ausführen ließ." (13)
Doch die zuständige Behörde erkennt den Gemeinderatsbeschluss nicht an. Sie
begründet die Ablehnung mit der "nichtarischen Abstammung" von Adolf Levi Wieder
tritt der Gemeinderat für seinen Arzt ein und bittet, ihm die kassenärztliche
Zulassung nicht zu verwehren:
"Dr. Levi hat sich noch nie in jüdischer
Weise gezeigt. Wenn er sieht, dass arme Leute kein Geld haben, um den Arzt
bezahlen zu können, hilft er trotzdem und verzichtet auf eine Belohnung seiner
Mühe. Es ist allgemein bekannt, dass Dr. Levi und seine ganze Familie gut
deutsch gesinnt ist...Die Gemeindeeinwohner könnten daher nicht verstehen, wenn
dieser gut deutsch gesinnten Familie Levi ein Leid zugefügt würde dadurch, dass
der junge Arzt, Dr. med. Adolf Levi, keine Kassenpraxis mehr erhält und dann
künftig nicht mehr in der Lage wäre, seine betagten Eltern Unterstützung wie
bisher angedeihen zu lassen. Dr. Levi ist auf die Kassenpraxis angewiesen, um
existieren zu können. Er hat anlässlich des Neubaus seines Wohnhauses größere
Schuldverpflichtungen, die er nur erfüllen kann, wenn er seine seitherige volle
Arzttätigkeit versehen kann.
Zweitens ist festzustellen. dass wohl die
gesamte Einwohnerschaft, jedenfalls mindestens 90 Prozent, hinter der Familie
Levi steht und es als Selbstverständlichkeit betrachtet, dass Dr. Levi seine
volle Praxis wieder erhält."
Vor seiner Praxis standen SA-Posten aus
Nachbardörfern. 1938 wurde Adolf Levi die Approbation entzogen, so dass er sich
und seine Familie als Helfer in der Landwirtschaft über Wasser halten musste. Er
lernte Englisch und trug sich mit dem Gedanken in die USA auszuwandern, was
durch deren Kriegseintritt jäh zunichte gemacht worden ist. (14)
Schicksal der Kinder von Sanitätsrat
Dr. Julius Levi
Julius Levi und Ernestine Levi hatten
insgesamt 18 Kinder, wovon allerdings nur neun das Erwachsenenalter erreichten.
Fünf von ihnen wurden Opfer des Nationalsozialismus. Max Levi war behindert und
ist im Rahmen des Euthanasieprogramms wahrscheinlich umgebracht worden. Erich,
Clara und Josefine Levi sind nach Polen deportiert und in Konzentrationslagern
umgebracht worden. Adolf Levi war, nachdem ihm die Approbation entzogen worden
war, als sog. "Behandler" in einem Krankenlager für Zwangsarbeiter, bei einem
englischen Tieffliegerangriff ums Leben gekommen. Es gibt zahlreiche Hinweise,
dass Weiler Bürger den Levis die Treue hielten und sie in schwerer Zeit
unterstützten. Auch sonst waren sie nicht ganz so linientreu, wie es von den
Nazis gern gesehen worden wäre, aber dennoch war Pfalzgrafenweiler keine `Insel
der Glückseligen´. Auch in Pfalzgrafenweiler gab es sämtliche antisemitische
Repressalien: Boykott, Judensternverordnung, Schwimmbadverbot, gekürzte
Lebensmittelkarten, Wohnungsübernahme, Deportation, Enteignung, das Tragen der
Jüdischen Vornamen Sara oder Israel, Ausschluss aus Vereinen und vieles mehr.
Verdrängen und Erinnern
Die Haltung der Gemeinde
Pfalzgrafenweiler nach dem Kriege in Sachen Levi zeichnete sich durch
jahrzehntelanges Verdrängen und Aussitzen aus. Trotz vielfacher Anstöße kam die
Gemeinde ihrer Pflicht zum Gedenken nicht nach. Ein umfangreicher Schriftwechsel
der Enkel Levis und anderer Stellen hierzu liegt mir vor. Unter dem damaligen
Bürgermeister Fiechtner musste die Gemeinde Pfalzgrafenweiler von 1960 bis 1963
insgesamt viermal angeschrieben werden, bevor sie reagierte und die Fragebögen
der Archivdirektion Stuttgart zu den Mitgliedern der Familie Levi beantwortet
hatte. Teilweise sind die Bögen sehr oberflächlich, falsch und unvollständig
ausgefüllt worden. Der Staatsarchivdirektor schrieb:
"Die Gemeinde Pfalzgrafenweiler gehört zu
den ganz wenigen Orten in Baden-Württemberg, die die wiederholten Bitten der
Dokumentationsstelle zur Erforschung der Judenschicksale 1933/45 um Mithilfe bei
ihren umfassenden Erhebungen bisher unbeachtet gelassen haben." (15)
Die Äußerung einer Gemeinderätin in einer
Gemeinderatssitzung vom 12.03.1985 zu einem Brief von Dr. Eugen Schneider, einem
Enkel von Dr. Julius Levi verdeutlicht diese zynische Haltung: Sie fragte an,
"ob Bgm. Galsterer auf das Schreiben von Herrn Tierarzt Dr. Schneider antworten
wird. Sie würde persönlich eine Antwort begrüßen, allerdings darüber hinaus
keine weiteren Aktivitäten entwickeln."
Perspektive für weitere Forschungen
Geschichte muss immer wieder neu
geschrieben werden, weil sich mit jeder Generation auch die Perspektiven, aber
auch die Bewertungen ändern. Eine objektive Darstellung geschichtlicher Vorgänge
kann es nicht geben. Gerade die Lokal- oder Heimatgeschichte kann helfen,
Geschichte versteh- und erlebbar zu machen. Sie ist anschaulich und sie steht
natürlich auch im Zusammenhang zur "großen" Geschichte. Die Geschichte eines
Ortes, sei sie auch noch so unangenehm, ist immer auch eine kommunale
Verpflichtung. Wie die Erfahrung in anderen Orten zeigt, muss Erinnern in der
Regel gegen den (Schluss-) Strich stattfinden, da es immer Menschen geben wird,
die aus Prinzip dagegen sind. Es erfordert viel Mut, Kraft und v.a.
Durchhaltevermögen.
Es liegt nahe, für den Landkreis
Freudenstadt einen historischen Arbeitskreis zu gründen, der sich u.a. mit den
Themen jüdisches Leben in der Region, Euthanasie, Zwangsarbeit und Widerstand
beschäftigen könnte. Als Träger dieses Arbeitskreises wäre das Kreisarchiv oder
die Kreisvolkshochschule denkbar, vielleicht unter der Schirmherrschaft des
Landrats.
Danksagung
Mein Dank gilt den überlebenden
Angehörigen der Familie Levi, namentlich dem Altensteiger Tierarzt Dr. Eugen
Schneider, für ihr Vertrauen, der Kreisarchivarin Dr. Karoline Adler, Herrn Bing
vom Landeskirchenarchiv Stuttgart und Pfarrer i.R. Wolfgang Steck, der
Freudenstädter Journalistin Doris Wegerhoff für ihre Unterstützung, Pfarrer
Dieter Lohrmann, aber auch den vielen Bürgern und der Verwaltung von
Pfalzgrafenweiler, die diese Arbeit ermöglicht und begleitet haben. Aber
besonders möchte ich meiner Familie für ihre unendliche Geduld danken. Aber auch
für die vielen Telefonanrufe und Briefe zu meinem Engagement in Sachen Levi
waren wichtig. Ohne all diese Menschen wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.
Anmerkungen:
(1) Deutscher kaufe nicht beim Juden! 1. Auflage von 1935 (Stuttgart), S. 11
(2) Deutscher kaufe nicht beim Juden!, 1. Auflage von 1935 (Stuttgart), S.
4.
(3) Gemeinderatsprotokoll Pfalzgrafenweiler vom 13.10.1901.
(4) Aus den Tannen – Amtsblatt für Altensteig Stadt, Nr. 172 vom 05.11.1901,
S. 1f.
(5) Der Grenzer vom 05.10.1926, Blatt /2.
(6) Diese „Bekanntmachung hing sicher in den damals zahlreichen Schaukästen
der Gemeinde Pfalzgrafenweiler. Vielleicht es sogar vom Amtsboten Christian
Hofer auf öffentlichen Plätzen verlesen worden. Dokument aus dem
Landeskirchlichen Archiv Stuttgart, Bestand A 126 Nr. 2174.
(7) "Flammenzeichen": Nr. 25, Juni 1937, S. 3.
(8) Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bestand A 126 Nr. 17/6.
(9) Archiv des Pfarramts Pfalzgrafenweiler, 28. Austrittsakten 1.,
1924-1952.
(10) Gespräch mit einem Bürger aus Pfalzgrafenweiler am 29.11.2000(11).
(11) Wegerhoff, Doris: Sanitätsrat Dr. Julius Levi, verehrt - verfolgt –
vergessen Ehrenbürger von Pfalzgrafenweiler und seine Spuren 1993, Hausarbeit im
Rahmen eines Orientierungsseminars zum Studiengang Journalisten-Weiterbildung an
der Freien Universität Berlin im Fachbereich Kommunikationswissenschaften 1993
(nicht veröffentlicht), S. 5.
(12) Wegerhoff, S. 10.
(13) Gemeinderatsprotokoll, 4.5.1933, Pfalzgrafenweiler.
(14) Auskunft seiner Tochter.
(15) Schreiben der Archivdirektion Stuttgart vom 17.09.1963 an das
Bürgermeisteramt Pfalzgrafenweiler
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21-09-2001 |