Blüms Vernichtungskrieg:
Was weiß Scharon von Antigone?
Quergeschrieben - von Thomas Chorherr
Die Presse, 17.04.2002
Jüngst hörte ich im Radio das böse
Wort vom "Vernichtungskrieg". Ein Vorgriff auf die Wehrmachtsausstellung? Eine
Bezeichnung dessen, wofür das deutsche Heer in das "Unternehmen Barbarossa"
gezogen ist, Millionen Tote und verbrannte Erde hinter sich lassend? Weit
gefehlt. Ein deutscher Spitzenpolitiker - kein Rechtsradikaler, wohlgemerkt -
hat so genannt, was er in diesen Tagen ebenso wie alle anderen via Fernsehen
miterlebt hat: Das, was die Israeli in den autonomen Gebieten Palästinas (die
noch immer so heißen) anrichten. Vernichtungskrieg?
Ich habe indessen die Wehrmachtsausstellung gesehen. Sie ist, wie zu
Recht gesagt wird, viel besser als die erste, die vor Jahren relativ
entlegen in einer Nebengasse des vierten Bezirks gezeigt worden ist. Was
sie beabsichtigt, gelingt ihr: Sie läßt nachdenken. Und dann geht man
nach Hause und dreht den Fernseher auf und sieht Bulldozer und Panzer,
die Häuser niederwalzen, man sieht Leichen und weinende Frauen und hört
vom Flüchtlingslager Jenin, in dem die Israeli Hunderte von Menschen,
nicht nur Kämpfer, sondern auch Zivilpersonen, getötet haben -
niedergemetzelt, wie manche sagen.
Und ich entsinne mich der wiederholten Äußerungen Bruno Kreiskys, die
israelische Armee führe sich als Besatzer auf wie einst die Faschisten.
Er war immer schnell mit dem Wort, dieser Altbundeskanzler, der mir
einmal sagte, er werde nie als Bundespräsident kandidieren, weil die
Österreicher noch nicht reif genug seien für ein jüdisches
Staatsoberhaupt. Nach dem Besuch der Wehrmachtsausstellung, der
Erinnerung an die Wannsee-Konferenz, an Auschwitz und Treblinka gibt man
im ersten Augenblick jenem Leser aus Israel recht, der mir vor kurzem
schrieb, er wundere sich, wo die liberale Haltung der "Neuen Freien
Presse" geblieben sei, da heute doch kein Verständnis für die Aktionen
des Staates Israel aufgebracht werde. Wie die Jedermann-Rufe rund um den
Salzburger Domplatz meint man heute, geht man auf die Frage des Lesers
ein, immer wieder "Holocaust" im Ohr zu haben. Immer wieder entsinnt man
sich der Vorwürfe junger Israeli an ihre Altvorderen: Warum habt ihr
euch zur Schlachtbank treiben lassen wie die Lämmer? Das "Nie wieder"
vermengt sich mit dem Rasseln der Panzerketten und den Schüssen der
Maschinenpistolen. Und wenn die Palästinenser zehn in die Luft sprengen,
töten wir hundert und vielleicht fünfhundert oder tausend. Nie wieder!
Mag einer ruhig fragen, ob es nicht jetzt auch schon Ghettos für die
Araber gebe, mag er die Antigone des Sophokles zitieren, die ihr Leben
zu opfern bereit war, um ihrem Bruder, dessen Bestattung der
Thebanerkönig Kreon bei Todesstrafe verboten hatte, die letzte Ehre zu
erweisen, mit der so schönen Begründung: "Nicht mitzuhassen, mitzulieben
bin ich da." Ambulanzen dürfen nicht fahren, Tote nicht begraben werden.
"Mister Scharon hat Israels Feinde erbost, ihm seine Freunde entfremdet
und Israels Namen vor dem Gericht der Weltmeinung geschwärzt", schrieb
der "Economist". Diese Welt glaubt, daß Israel ihrem Druck nicht
standhalten werde. Sie irrt sich. Wer Scharons Lächeln sieht, weiß, was
er denkt. Und mag auch - welch Symbol! - jene Kirche belagert werden,
die an der Stelle erbaut wurde, wo Christus geboren worden ist - was
kümmert's? In der
Wehrmachtsausstellung wird nur leise gesprochen, die Erschütterung über
das Wüten eines Terrorregimes ist zu spüren. Wenn, was Gott gebe,
irgendwann einmal Frieden sein wird in Palästina - wird dann eine
Ausstellung die Hausruinen in Ramallah zeigen und in Bethlehem? Wird man
sagen, Israel werde noch lang an einer Schuld zu tragen haben? Der
kritische Leser verlangt von der "Presse", ihre liberale Tradition nicht
zu vergessen. Ist man liberal, wenn man alles versteht und verzeiht?
Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der "Presse".
hagalil.com / 27-01-2002 |