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In aller Ruhe zahlen

Polnische Organisationen fordern erfolglos, die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter zu beschleunigen und Geld für Projekte zur Erinnerung an die NS-Verbrechen bereitzustellen. 

Von Magdalena Rensmann
Jungle World, 13.11.2002

Erst knappe 60 Jahre nach dem Kriegsende konnte Deutschland dazu verpflichtet werden, lächerliche fünf Milliarden Euro für die Entschädigung der ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeiter zur Verfügung zu stellen. Allein in Polen haben inzwischen über 380 000 Betroffene bei der Partnerorganisation der deutschen Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft Kompensationszahlungen beantragt. Der Organisation wurden 535 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Bisher wurde etwa 80 Prozent aller Antragsteller die erste Rate ausgezahlt. Ein Termin für die zweite Rate steht noch nicht fest. Zuerst müssen alle eingegangenen Anträge geprüft wurden. Und das kann noch Monate dauern.

Alle ehemaligen Zwangsarbeiter erhalten außerdem nur dann den gesamten Rest des Geldes - das sind 35 bis 75 Prozent der vorgesehenen Entschädigungssumme, deren Höhe davon abhängt, in welchem Land der Antrag gestellt wurde -, wenn die für die Entschädigung vorgesehene Summe ausreicht. Sollte das nicht der Fall sein, da mehr Menschen als angenommen entschädigt werden wollen, erhalten die Antragsteller entsprechend weniger Geld.

Die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft hat zudem vorgeschlagen, mit der Auszahlung der zweiten Rate erst dann zu beginnen, wenn alle Partnerorganisationen in den betreffenden Ländern mit der Auszahlung der ersten Rate fertig sind. Das ist kein Problem in Ländern wie Polen oder Tschechien. Dort sind die Opfer des Nationalsozialismus schon seit mehreren Jahren in verschiedenen Verbänden organisiert, wo sie über die Vorgaben der deutschen Stiftung schnell und richtig informiert wurden. Daher gehen in diesen Ländern die Auszahlungen zügig voran.

Anders sieht es beispielsweise in der Ukraine oder in Russland aus, wo viele alte Menschen Probleme haben, in den Besitz der Dokumente zu gelangen, die ihre Zwangsarbeit belegen. Das ist aber die wichtigste Voraussetzung für den Anspruch auf Entschädigung. Nicht wenige ehemalige Zwangsarbeiter wurden nicht oder nur unzureichend über ihren Anspruch auf Kompensation informiert. Zu warten, bis alle Partnerorganisationen mit der Auszahlung der ersten Rate fertig sind, würde daher zu erheblichen Verzögerungen führen.

Damit würde sich auch die Arbeit der polnischen Stiftung enorm verlängern, was wiederum die administrativen Kosten in die Höhe triebe. »Bereits jetzt spielen die Ausgaben für die Bürokratie eine zu große Rolle bei der Verteilung des gesamten Geldes«, erklärt Ludwig Krasucki, der Vorsitzende des Verbandes der Jüdischen Kriegsveteranen und der Vertreter der polnischen Delegation bei den Entschädigungsverhandlungen. Das ist schlecht für die Antragsteller, da alles aus dem für die Entschädigungen vorgesehenen Fonds bezahlt werden muss. Noch dazu sollen die aus dem Stiftungskapital anfallenden Zinsen den überlebenden Zwangsarbeitern bis auf 50 Millionen Euro vorenthalten werden.

Die Partnerorganisationen aller Länder fordern daher bei jedem Treffen mit den Vertretern der deutschen Stiftung vehement, die Auszahlung der zweiten Rate zu beschleunigen. Die Stiftung Polnisch-deutsche Aussöhnung verlangt zudem die Kompensation solcher Schäden, die durch den kriegsbedingten Verlust an Gütern entstanden sind, voranzutreiben. Auch Personen mit so genannten anderen Schäden sollen nach dem Willen der Polen schneller entschädigt werden. Davon betroffen sind die Opfer pseudomedizinischer Versuche, die Eltern ermordeter Kinder und Menschen, die in den Kinderheimen für die Zwangsarbeiter schwere Körperverletzungen erlitten oder die dauerhaft durch NS-Repressionen geschädigt wurden.

Die deutsche Stiftung wies bisher alle Forderungen zurück. Nur in der Erbschaftsfrage gab sie nach. Festgelegt wurde, dass der Anspruch auf Entschädigung von ehemaligen Zwangsarbeitern, die schon gestorben sind, unbürokratisch auf deren Kinder und Enkel übergeht. Szymon Lewandowski, dessen Großmutter Maria Tebus Zwangsarbeit in Deutschland leisten musste und vor drei Jahren gestorben ist, ohne je einen Pfennig erhalten zu haben, ist über diese Entscheidung erleichtert. Allerdings haben er und seine Geschwister, die die einzigen Verwandten sind, bisher kein Geld bekommen. Er ist sich sicher, dass »wir Erben erst ganz zum Schluss eine Entschädigung erhalten werden«. Von dem Geld will er einen Grabstein für seine Großmutter anfertigen lassen.

Ein weiterer Streitpunkt ist immer wieder der Zukunftsfonds, das ideologische Kernstück der Entschädigungsvereinbarung, das gleichsam über den Tod der letzten Überlebenden hinausreichen soll. Die Installation dieses Fonds steht nicht im Gegensatz zum Versuch, einen Schlussstrich unter die deutsche NS-Vergangenheit zu ziehen, sondern mit ihm soll die Vergangenheit nivelliert und verharmlosend interpretiert werden. So wurde ausdrücklich festgelegt, dass mit dem Geld Projekte zur Völkerverständigung gefördert, nicht aber Individuen unterstützt werden sollen. Insbesondere Projekte, die die Gefahren des Totalitarismus untersuchen, sollen Zuschüsse erhalten. So könnte das bis heute Präzedenzlose des Massenmordes an den Juden in der Suggestion bedrohlicher »totalitärer« Systeme verschwinden. Dabei spielt dann weder die Erforschung der Spezifik der deutschen Vernichtungstat eine Rolle, noch soll die Zwangsarbeit für den NS-Staat überhaupt untersucht werden.

Die Vertreter der ehemaligen Zwangsarbeiter und anderer NS-Opfer wollen stattdessen, wie Krasucki erklärt, »dass mit dem Geld aus dem Zukunftsfonds tatsächlich an die Gräueltaten des Nationalsozialismus erinnert wird und dass Projekte gefördert werden, die die Erinnerung daran als Hauptziel ihrer Arbeit sehen«. Die Mittel aus dem Zukunftsfonds sollten nicht nur für die Arbeit mit deutschen Jugendlichen, also etwa für Besuche in Auschwitz oder für Treffen mit Überlebenden verwendet werden, sondern beispielsweise auch, um Bücher zum Thema Zwangsarbeit herauszugeben.

Außerdem fordern die Vertreter der NS-Überlebenden, dass mit Geld aus dem Fonds die Ausstellung über die Shoah in dem geplanten Jüdischen Museum in Warschau finanziert wird. Krasucki bezeichnet die Verhandlungen mit der deutschen Stiftung allerdings als »schwierig«, was in Polen eine gewisse Unruhe hervorrufe. Bereits im August wurden sämtliche polnischen Vorschläge, wie das Geld sinnvoll verwendet werden könnte, abgelehnt.

hagalil.com 14-11-02

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