Während Zwangsarbeiter noch auf Geld aus
dem Entschädigungsfonds warten, haben sich polnische Verwalter
bereits selbst bedient.
Von Jens Mattern, Warschau
Jungle World,
23.04.2003
Für große Empörung sorgt in Polen die Nachricht, dass sich
vier Mitarbeiter des polnischen Partners der deutschen
Entschädigungsstiftung für ihre Verwaltungstätigkeit sehr großzügig
entlohnt haben. Die Tageszeitung Rzeczpospolita berichtete am 7.
April, dass sich u.a. der damalige Vorsitzende der Stiftung
"Deutsch-Polnische Aussöhnung", Jacek Turczynski, und sein
Stellvertreter, Jan Parys, von 1998 bis 2000 mit Prämien von
insgesamt 60 000 Euro bedacht haben.
Beamte der "Höchsten Kontrollkammer", die polnische Entsprechung
zum Bundesrechnungshof, hätten dies herausgefunden. Nach deren
Darstellung haben die beiden auch einen Verlust von einer Million
Euro verschuldet, da sie in einer Züricher Bank fünf Millionen Euro
aus dem Entschädigungsfonds falsch anlegten. Turczynski ist seit
drei Jahren Präsident der polnischen Post, und Parys sah trotz der
allgemeinen Empörung keine Veranlassung, von seinem Amt
zurückzutreten. Das Finanzministerium hat ihn nun am Dienstag der
vergangenen Woche von seinem Posten enthoben. Parys und Turczynski
weigern sich bislang, die verlangten Summen zurückzuzahlen. Beide
zeigen sich uneinsichtig und reizen die Öffentlichkeit mit der
Aussage, dass sie "nicht umsonst arbeiten wollen".
Die selbst erteilten Prämien müssen nun bei Gericht zurückgeholt
werden. Der finanzielle Schaden der Affäre hält sich zwar in
Grenzen, doch für viele Opfer des NS ist er ein weiteres Indiz
dafür, dass man sie nicht ernst nimmt. Immer wieder äußerten sie in
den vergangenen Wochen in Radiosendungen und Zeitungen ihr Entsetzen
über die Vorgänge in der Stiftung. Viele erinnert der Vorfall an den
Skandal im Sommer vor zwei Jahren, als sich herausstellte, dass die
erste Entschädigungsrate (1,34 Milliarden Mark) zum ungünstigsten
Zeitpunkt, als der Zloty am höchsten stand, umgetauscht wurde.
Michael Jansen, der Vorsitzende der deutschen Stiftung "Erinnern,
Verantwortung und Zukunft", wies die Verantwortung für die Misere
damals von sich. Er erklärte, das ganze Prozedere sei mit Bartosz
Jalowiecki, dem Präsidenten der polnischen Partnerstiftung,
abgesprochen worden. Jalowiecki wollte den Betrag in Zloty
überwiesen haben, um dann mit dem Zinsgewinn auf dem Stiftungskonto
die Verwaltungskosten decken zu können. 100 Millionen Zloty sollen
bei der Transaktion verloren gegangen sein.
Der Skandal um die Prämien scheint die Kritik von Zygmunt Krolak
zu bestätigen. Der Ökonom und ehemalige Zwangsarbeiter warnte die
Stiftungsverwaltung bereits Anfang April davor, nicht wieder die
gleichen Fehler zu begehen wie damals. Im September soll die
Auszahlung der zweiten Entschädigungsrate planmäßig beginnen, davor
steht eine weitere Transaktion - diesmal in Euro - der deutschen
Stiftung an. Auch bemängelte er, dass der momentane
Stiftungsvorsitzende, Jerzy Sulek, keine Wirtschaftsexperten
konsultiere. Für Ludwik Krasucki, den Vorsitzenden des Verbandes der
jüdischen Kriegsveteranen und-versehrten des Zweiten Weltkriegs, ist
es unverständlich, dass die polnische Regierung, die seit Ende 2001
von den Unregelmäßigkeiten in der Stiftung wusste, Parys nicht
ablöste. Dieses Vorgehen verringere das Vertrauen der Polen auf die
Institution, die nach seiner Ansicht seit Juli 2001 insgesamt gut
verwaltet werde.
Nach Angaben der Stiftung "Deutsch-Polnische Aussöhnung" sind
seit diesem Zeitpunkt bis Anfang April rund zwei Milliarden Zloty
der ersten Rate an etwa 440 000 Personen ausgezahlt worden.
Krasucki, der auch Mitglied der Aufsichtsbehörde der deutschen
Stiftung ist, geht daher davon aus, dass die Auszahlungen der ersten
Rate im Juli abgeschlossen werden können. Noch im vergangenen Herbst
schien dies ein Ding der Unmöglichkeit. Der immer größer werdende
bürokratische Apparat der Stiftung der deutschen Industrie
verzögerte die Auszahlung und belastete den Fonds finanziell.
Inzwischen ging die Stiftung auf die Kritik der Opfervertreter ein
und reduzierte den bürokratischen Aufwand. Zudem konnten die
deutschen Vertreter endlich davon überzeugt werden, die
Internationale Suchstelle des Roten Kreuzes im hessischen Arolsen
mit mehr Geld zu unterstützen. Dahin müssen sich NS-Geschädigte mit
einem schriftlichen Antrag wenden, wenn sie keine ausreichenden
Unterlagen über ihre Zeit als Zwangsarbeiter und in den
Konzentrationslagern besitzen.
Die notorische personelle Unterbesetzung dieser Institution, die
die größte Sammlung an Unterlagen des NS-Apparats besitzt, wurde
schon lange bemängelt. Die langen Bearbeitungszeiten verzögerten die
Auszahlung der ersten Rate. Mit der zweiten Rate kann nur dann
begonnen werden, so das Prinzip der deutschen Stiftung, wenn die
erste schon voll ausgezahlt wurde. NS-Verfolgte, die nicht zur so
genannten Kategorie A der in Lagern und Ghettos Eingesperrten
gehören, erhielten bislang noch gar kein Geld. Sie fallen in die
Kategorie "sonstige Personenschäden", wie die deutsche Stiftung es
formuliert. Für sie ist ein Gesamtbetrag von 25 Millionen Euro
vorgesehen. Die Opferverbände haben durchgesetzt, dass die Opfer
medizinischer Experimente die höchste Entschädigung erhalten werden,
vor den Invaliden und den Eltern ermordeter Kinder. Denn "die
menschlichen Versuchskaninchen", so Krasucki, haben am meisten
erlitten und die schwächste Gesundheit. Die Auszahlung der ersten
Rate verzögert sich bei dieser Opfergruppe, da die Unterlagen in
Polen zwar vorhanden sind, in anderen Ländern wie Russland aber die
Vorbereitungen noch andauern.
Da die Zahl der insgesamt bewilligten Anträge bislang nicht
ermittelt ist, können die genauen Beträge der Auszahlung nicht
festgestellt werden. Krasucki plädiert daher dafür, schnellstmöglich
einen Grundbetrag an die Antragsteller in Polen zu senden und die
Differenz zum genauen Betrag später nachzuschicken. Nach Auskunft
der deutschen Stiftung wird über diesen Grundbetrag zwar gerade
"nachgedacht", es gehe aber darum, bis August eine etwaige Zahl zu
ermitteln. Die Auszahlung der ersten Rate an diejenigen, die nicht
der so genannten Kategorie A zugerechnet werden, erfolgt demnach
frühestens im Oktober.
Ein weiterer Streitpunkt ist der Zukunftsfonds der
Witschaftsstiftung. Etwa 350 Millionen Euro sind insgesamt dafür
vorgesehen, darunter befindet sich auch der Fonds "Erinnern &
Menschenrechte", mit dessen Mitteln Projekte gefördert werden
sollen, bei denen es allgemein um Menschenrechtsverletzungen und
Totalitarismus geht. Krasucki fürchtet, dass durch solche
Verallgemeinerungen der Sinn der Stiftung verwässert werde. Die
Gelder aus dem Fonds der deutschen Industrie seien explizit für
deren Opfer gedacht. Durch den Zukunftsfonds sollten vor allem
Einrichtungen zum Gedenken und Erinnern an die NS-Verbrechen
finanziert werden. Gerade in Polen hat der Staat nicht die Mittel,
um ehemalige Konzentrationslager und andere Gedenkstätten ohne
Spenden zu erhalten. Zusätzliches Geld wird dringend benötigt.