"Vertriebene" hoffähig
Bundestag berät nächste Woche über Einrichtung eines "Zentrums gegen
Vertreibung"
Ulla Jelpke
Junge Welt, 29. Juni 2002
Kommenden Donnerstag wird der Bundestag über drei Anträge zur Errichtung eines
"Zentrums gegen Vertreibung" beraten und abstimmen. Die Debatte ist ein weiteres
Indiz dafür, welchen Einfluß die revanchistischen Vertriebenenverbände haben.
Schon die von Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), der Sudetendeutschen
Landsmannschaft und FPÖ-Chef Jörg Haider angezettelte Debatte, die Tschechische
Republik solle die Benes-Dekrete widerrufen, hat den giftigen Einfluß dieser
Verbände und ihren Schulterschluß mit CDU und CSU erneut gezeigt.
Aber auch SPD und Grüne biedern sich dieser völkischen Klientel
zielstrebig an. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Innenminister Otto Schily
nutzen jede Gelegenheit zu Auftritten. Kritik aus den Reihen der Regierung an
der Forderung nach einem "Recht auf Heimat" und nach Rückgabe deutschen
Eigentums müssen die "Vertriebenen" nicht fürchten.
Im Sommer 2000 war der Bund der Vertriebenen (BdV) mit seiner Forderung nach
einem "Zentrum gegen Vertreibung" an die Öffentlichkeit getreten. "In zentraler
Lage Berlins" solle das Zentrum "mit zirka 11000 Quadratmeter Nutzfläche"
errichtet werden, Kosten: 160 Millionen DM. Träger soll ein "Förderkreis" sein,
für den der BdV den SPD-Politiker Peter Glotz und den ungarisch-jüdischen
Schriftsteller György Konrád gewann. In der Konzeption des BdV findet sich im
Abschnitt "Warum Vertreibungen" kein Wort zu den Verbrechen der
Naziokkupations-, Germanisierungs- und Vernichtungspolitik.
Ein solches Zentrum wäre ein Mahnmal deutsch-völkischer Verbohrtheit, Kultstätte
für Rechtsextremisten und steingewordener Beweis für Geschichtsfälschung und
Bagatellisierung deutscher Verbrechen. Aus Osteuropa kam deshalb sofort scharfe
Kritik. Aus Polen verlautete, das Zentrum solle in Wroclaw errichtet werden.
Damit sollte das Thema "Vertreibung" in direkten Zusammenhang mit der
Nazigermanisierungspolitik gestellt werden. Der BdV lehnte ab.
Auf meine Anfrage an die Regierung, wie sie sich zum Plan des BdV verhalten
wolle, kam damals von SPD und Grünen hinhaltend Nebulöses. Wegen Föderalismus
sei eine 50prozentige Beteiligung des Landes Berlin erforderlich und die
Übernahme der Trägerschaft. Außerdem sei das "wissenschaftliche und
museologische Konzept" nicht erkennbar. Im übrigen erinnere in Berlin bereits
ein Denkmal an Flucht und Vertreibung, für ein Zentrum habe man kein Geld.
(Bundestagsdrucksache 14/3922 vom 21.7.2000)
Inzwischen ist die Diskussion weitergegangen. Der BdV hat angeblich mehrere
hundert Städte und Gemeinden dafür gewonnen, ihre "Patenschaft" für ein solches
Zentrum zu erklären. CDU und CSU und ihr Kanzlerkandidat Stoiber wollen das
Thema nun zum Wahlkampfthema aufbauen, um rechtsaußen Stimmen zu fischen. Daß
sie damit gegenüber Polen und der Tschechischen Republik Spannungen schüren,
nehmen Union und "Vertriebene" in Kauf. Der Ex-BdV-Funktionär Hartmut Koschyk
brachte Mitte März mit BdV-Chefin Erika Steinbach, ebenfalls CDU-MdB, einen
Antrag auf den Weg. Die Bundesregierung solle mit dem BdV in eine "konstruktive
und organisatorische Zusammenarbeit" eintreten, ein Gebäude bereitstellen und
einen Finanzierungsplan vorlegen. Die FDP eilte mit einem Antrag hinterher, der
verlangt, die "in Deutschland vorhandenen kollektiven Erfahrungen der
Vertreibung" (also nicht die Erinnerung an Naziverbrechen) zum "Ausgangspunkt
für das Dokumentations- und Forschungszentrum" zu machen.
Die Bundesregierung blieb scheinbar auf Distanz. In ihrem Antrag fordert sie ein
"europäisch ausgerichtetes" Zentrum, das "die Vertreibungen im Europa des 20.
Jahrhunderts in ihren verschiedenen Ursachen, Kontexten und Folgen, darunter die
Vertreibung der Deutschen, dokumentieren" soll. Der Trägerkreis solle europäisch
sein. Als Ort wünscht die SPD Wroclaw.
Die Differenzen sind aber nur vordergründig. Im Bundestag berichtete am 16. Mai
der CDU-Abgeordnete Norbert Lammert, der Staatsminister im Kanzleramt,
Nida-Rümelin, habe BdV-Präsidentin Steinbach bereits im März 2001 prinzipielle
Zustimmung der Bundesregierung signalisiert. Die "europäische Ausrichtung" des
Projekts könnte sich - zumal bei dem zielstrebigen Werben Schilys und Schröders
um Wählerstimmen in der völkischen Klientel und um die Gunst der BdV-Funktionäre
- bald erledigen, zum Beispiel durch eine nichtdeutsche Galionsfigur im Beirat.
Und der Streit um den Ort ließe sich durch eine Außenstelle des von Berlin
gelenkten Zentrums in Wroclaw lösen.
Mein Kollege Heinrich Fink hat am 16. Mai zu Recht erklärt: "Wenn wir uns auf
Deutschland beschränken würden, wären die Zahlen der vertriebenen Juden auf
jeden Fall mitzurechnen, ebenso die der Polen, Tschechen und Russen sowie die
all derjenigen aus von Deutschland besetzten europäischen Staaten, die als
Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert wurden ... Die älteste Wurzel aller
Vertreibungen kommt aus dem Antijudaismus ... Ich bin von 1940 bis 1945 von
Bessarabien nach Brandenburg getrieben worden. Ich habe aber bald begriffen:
Vertrieben haben uns nicht die Russen oder Polen, sondern diejenigen, die den
Krieg von Deutschland aus angefangen haben."
Der Bundesverband der Vertriebenen kommt für mich weder als Träger noch als
Mitträger eines solchen Zentrums in Betracht. Das völlig einseitige, die
deutschen Verbrechen der Nazizeit bagatellisierende Weltbild dieser Verbände und
ihre bis heute fehlende Abgrenzung zu Antisemiten und Rechtsextremisten
disqualifizieren den BdV völlig. Das Thema hat für mich nur eine Berechtigung,
wenn von vornherein mit jüdischen, polnischen, tschechischen VertreterInnen und
mit Roma und Sinti als größten Opfergruppen deutscher Germanisierungspolitik im
letzten Jahrhundert ein Gesamtkonzept erarbeitet wird. Das aber ist nie
geschehen.
Wie weit CDU und CSU bereit sind, am rechten Rand zu fischen und zu hetzen, hat
Stoiber vergangenes Wochenende deutlich gemacht, als er ausgerechnet das Treffen
der Ostpreußischen Landsmannschaft in Leipzig wählte, um seinen Einsatz für den
BdV deutlich zu machen. Im Ostpreußenblatt der Landsmannschaft durfte 1994 nach
dem Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck der damalige Rep-Chef Franz
Schönhuber Ignaz Bubis als "Volksverhetzer" verleumden. Auf 25 Seiten
dokumentierte mein Büro damals ausländerfeindliche, revanchistische,
antidemokratische Äußerungen von Autoren und Anzeigen rechtsextremer Verlage in
dem Blatt. Ende 2000 bestätigte die Bundesregierung erneut entsprechende
Artikel, u.a. des Auschwitz-Leugners David Irving und des NPD-Anwalts Horst
Mahler. Zum Treffen in Leipzig hatten auch die NPD und die offen rechtsextreme
"Junge Landsmannschaft Ostpreußen" mobilisiert. Daß Stoiber dieses Treffen
besucht, dokumentiert, was für ein gefährlicher Brandstifter der Mann ist.
Die Autorin ist innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion
hagalil.com / 01-07-2002 |