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Entschädigung in Tschechien:
Großzügigkeit vergebens gesucht

Von Miriam Tinterová

Am 31.12. 2001 läuft in der Tschechischen Republik die Antragsfrist aus, um bei der Partnerorganisation der deutschen Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", dem Büro für NS-Opfer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds (tschechisch: Cesko-nemecký fond budoucnosti - Kancelár pro obeti nacismu) in Prag, einen Antrag auf sog. Entschädigung für Zwangs- oder Sklavenarbeit während der NS-Zeit zu stellen. 

Diese Antragsfrist wurde auf Ansuchen der tschechischen Partnerorganisation bereits zweimal verlängert. Nun ist laut dem deutschen Stiftungsgesetz vom 12.8.2000 keine weitere Verlängerung mehr möglich, und so sehe ich dies als einen geeigneten Zeitpunkt, um zu bilanzieren, wie es denn nun aktuell mit den sog. Entschädigungszahlungen in der CR aussieht.

Ich arbeite in einer der drei Abteilungen des Büros für NS-Opfer, und zwar im "Überprüfungs - und Dokumentationszentrum" (tschechisch: Overovací a dokumentacní centrum - ODC). Meine Kolleginnen und Kollegen sind 20 Leute im Alter zwischen ungefähr 25 und 35 Jahren, i.d.R. mit Hochschulabschlüssen (oder auch teilweise noch Studierende) aus den Bereichen Geschichtswissenschaft, Soziologie, Politologie oder Internationale Studien (mit Schwerpunkt auf den deutschsprachigen Raum) o.ä, haben einen Bezug zur Thematik des Nationalsozialismus und gute Deutsch-Kenntnisse.

Unsere Arbeit besteht v.a. im Überprüfen (Verifizieren) der Anträge, d.h. es gilt festzustellen, ob zum jeweiligen Antrag ein ausreichender Nachweis in Form von historischen Dokumenten (z.B. Arbeitsbuch, Verpflichtungsbescheid u.ä. aus der Zeit des "Protektorats Böhmen und Mähren"), verschiedenen Nachkriegsdokumenten (z.B. Bescheinigung der Sozialversicherung über Beschäftigungszeiten, in denen manchmal auch der Zwangsarbeitseinsatz vermerkt ist, u.ä.), oder in Form von Zeugenaussagen, einer eidesstattlichen Erklärung oder eines Lebenslaufs usw. vorliegt. Ist dies nicht der Fall, geht es darum, so schnell wie möglich entsprechende Nachweise zu beschaffen, damit der Antrag positiv erledigt werden kann. Dies erfordert des öfteren z.B. Archivrecherchen; in manchen Fällen genügt es auch, durch ein Telefongespräch mit dem / der Antragsteller/in fehlende oder ungenaue Angaben zu ergänzen und dann in schriftlicher Form dem Antrag beizulegen. Mitunter ist es desweiteren notwendig, Literaturrecherchen zu betreiben, um sich bestimmte spezielle Sachverhalte (wie z.B. die Situation der Polen im tschechisch-polnischen Grenzland um Teschen / Tešín bezüglich der dort von Nazi-Deutschland betriebenen Germanisierungspolitik) zu vergegenwärtigen und sie - natürlich immer möglichst zugunsten der Antragsteller/innen - berücksichtigen zu können.

Bevor ich näher auf einige neuere Entwicklungen im Prozess der sog. Entschädigungszahlungen im allgemeinen und unserer Arbeit im besonderen eingehe, möchte ich hier kurz einige Zahlen nennen, um eine ungefähre Vorstellung davon zu vermitteln, wieviele Anträge bei uns eingegangen, wie viele davon bereits erledigt sind usw.:

Insgesamt umfasst unsere Datenbank momentan Anträge von ca. 106 000 Antragsteller/innen, über 77 000 davon sind bereits mindestens einmal durch unsere Hände gegangen. Ungefähr 60 000 dieser Anträge sind schon positiv erledigt, d.h. diesen Menschen ist die erste Rate (75% des Gesamtbetrages, der ihnen zusteht) bereits ausgezahlt worden oder wird voraussichtlich in den nächsten Wochen ausgezahlt werden. (Hierzu ist anzumerken, dass unser Büro auch die Anträge für die österreichische "Entschädigungs"-Stiftung, den sog. "Versöhnungsfonds" bearbeitet und die obige Angabe die Gesamtzahl aller bei uns eingegangen Anträge darstellt. Im folgenden werde ich mich jedoch auf die Angaben zur deutschen Stiftung konzentrieren, da sich auf sie auch das o.g. Ende der Antragsfrist sowie das sog. Stiftungsgesetz, auf das ich weiter unten noch eingehen werde, bezieht.) Bisher haben wir ca. 35 000 Anträge von nach Deutschland oder in deutsch besetzte Gebiete - einschließlich des sog. "Sudetenlands" - deportierten Zwangsarbeiter/innen positiv erledigt (sie bekommen 5 000 DM bzw. den entsprechenden Betrag in tschechischen Kronen), desweiteren ca. 6 200 Sklavenarbeiter/innen, d.h. ehemalige Häftlinge in Konzentrationslagern (15 000 DM) oder sog. vergleichbaren Haftstätten, z.B. sog. Arbeitserziehungslagern (voraussichtlich 12 000 DM). Weitere ca. 7 500 Antragsteller/innen fallen unter die sog. Öffnungsklausel und werden voraussichtlich zwischen 3000-4000 DM erhalten. Es handelt sich v.a. um Zwangsarbeiter/innen in der Landwirtschaft oder nichtdeportierte Zwangsarbeiter/innen, die innerhalb des "Protektorats Böhmen und Mähren" unter erschwerten Bedingungen arbeiten mussten. Auf die sog. Öffnungsklausel werde ich weiter unten noch eingehen. Bei ungefähr 17 000 der bereits einmal überprüften Anträge sind bisher keine ausreichenden Nachweise vorhanden, so dass es unsere Aufgabe ist, diesen Menschen nach Möglichkeit bei der Glaubhaftmachung ihres Antrags zu helfen.

In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass es uns aus eigener Initiative gelungen ist, mit deutschen und österreichischen Archiven in Kontakt zu treten und in Zusammenarbeit mit ihnen Nachweise für bisher ca. 2 500 unserer Antragsteller/innen zu finden. Zu diesem Zweck ist zwar in Deutschland zur Zeit der sog. Archivverbund im Entstehen begriffen, der gewiss auch seinen Sinn hat, doch wir konnten und wollten nicht so lange warten und so haben wir inzwischen eigene, direkte Wege gefunden, um unseren Antragsteller/inne/n in dieser Hinsicht schneller und auf weniger bürokratische Weise zu helfen. Dies hat freut natürlich sowohl uns als auch v.a. unsere Antragsteller/innen.

So weit zu den kleinen oder auch größeren Erfolgserlebnissen bei unserer Arbeit. Nun möchte ich mich aber auch den negativen Seiten zuwenden, derer es leider auch nicht gerade wenige gibt. Das allgemein vorhandene Grundgefühl in dieser Hinsicht könnte man nach mehreren Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen ungefähr folgendermaßen wiedergeben: Wir versuchen, im Rahmen des Möglichen - d.h. des deutschen Stiftungsgesetzes und der für Tschechien vorgesehenen Finanzmittel - so viel wie möglich für unsere Antragsteller/innen zu tun, aber die deutsche Seite erschwert und kompliziert uns dies immer wieder. Aus Platzmangel werde ich hier nur zwei Beispiele nennen, die aber umso bezeichnender sind:

Befremdlich wirkte auf uns das bisherige Verhalten des deutschen "Prüfteams", welches vor jeder Tranche für eine Woche nach Prag kommt, um aus der jeweiligen Tranche, die zur Auszahlung ansteht, Stichprobenkontrollen durchzuführen. Trotz nach außen hin freundlich lächelnden Auftretens war ihr Verhalten im Endeffekt jedesmal mehr oder weniger undurchsichtig, bürokratisch und unkommunikativ. Auf einem Mindestmass von Transparenz und Dialog musste die tschechische Seite wiederholt beharren - und dennoch ohne gros0n Erfolg. Anscheinend verfügen die Mitglieder des Teams kaum über historisches Fachwissen, dafür haben sie aber umso genauere Anweisungen aus Berlin. Kein "unklarer Fall", ja praktisch nichts von Bedeutung kann auf der Stelle durch sachlich-fundierte Diskussion und etwas guten Willen gelöst werden - über alles entscheidet die Obrigkeit in Berlin. Doch es fehlt ihnen nicht nur das Fachwissen, sondern auch und v.a. die Empathie mit den Opfern, der menschliche Zugang, ein bißchen Großzügigkeit. Es wäre ja noch einigermaßen verständlich, wenn sie anfangs - mit der Propaganda und den Stereotypen über "Mafiamethoden im Osten" im Kopf - Bedenken gehabt hätten, ob wir auch wirklich zu Gunsten der Opfer arbeiten, aber nachdem sie sich davon wiederholt und eindeutig davon überzeugen konnten, läge es doch nahe, wenn sie sich uns gegenüber offener und kommunikativer zeigten und ein bisschen mehr Selbständigkeit gegenüber ihrer Berliner Zentrale an den Tag legten.

Doch das tun sie eben gerade nicht. Sie halten sich weiterhin sklavisch an die jeweils neueste aus Berlin verordnete Auslegung des Stiftungsgesetzes und weitere Anweisungen "von oben". (In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass unsere diesbezüglichen Erfahrungen mit den Kollegen des österreichischen Prüfteams unvergleichlich besser sind - sowohl was Fachwissen, als auch Kommunikationsbereitschaft und Engagement für die Opfer betrifft. Natürlich gibt es auch mit den Österreichern manche Probleme, doch diese lassen sich aufgrund ihres insgesamt "menschlicheren" Zugangs und der weit größeren Autonomie des Prüfteams viel besser lösen als mit den Deutschen.)

Das zweite Beispiel, das ich im Zusammenhang mit den problematischen Seiten unserer Arbeit anführen möchte, ist die nachträglich engere Auslegung der sog. Öffnungsklausel durch die deutsche Seite. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen stellen sich z.B. folgende Fragen:

Wie soll man einer Antragstellerin, die als Kind erlebt hat, wie ihr Vater aus politischen Gründen von den Nazis verhaftet und später im Gefängnis zu Tode gefoltert wurde, erklären, dass dies nach dem aktuellen Stand der Dinge wahrscheinlich "kein ausreichendes NS-Unrecht" darstelle, um im Rahmen der Öffnungsklausel berücksichtigt zu werden? Oder wie ist es möglich, einem Antragsteller, dessen Mutter aus "rassischen Gründen", d.h. wegen jüdischer Herkunft, nach Theresienstadt deportiert wurde, während er selbst und sein Vater, nachdem sie schon zweimal einen Transportbescheid erhalten hatten, nur deshalb verschont blieben, weil der Krieg nicht mehr lange genug dauerte, ins Gesicht zu sagen, dies sei "noch keine ausreichende Freiheitsbeschränkung" und da müsse "noch etwas (z.B. Zwangsarbeit) hinzukommen"? Die einzig mögliche - und wahrheitsgetreue, aber für uns bittere - Antwort ist: Das haben sich die Deutschen aus der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" ausgedacht. Sie haben die Definitionsmacht, wer ein wirkliches Opfer von nationalsozialistischem Unrecht ist und wer es doch eigentlich ganz gut hatte. (Gab es so etwas Ähnliches nicht schon einmal? Damals hieß es: "Wer Jude ist, bestimme ich"...?!)

Die neueste Entwicklung sieht tatsächlich so aus, dass die deutsche Seite anscheinend die Öffnungsklausel (die es der jeweilige Partnerorganisation ermöglicht, im Rahmen der ihnen zugewiesenen Mittel außer den im Gesetz vorgesehenen zwei Hauptgruppen, d.h. Sklavenarbeitern und deportierten Zwangsarbeitern, auch andere Opfer von NS-Unrecht zu berücksichtigen) einengen will. Eine der von uns ursprünglich vorgesehenen Opfergruppen (die sog. Mitbetroffenen, z.B. Menschen, die während der NS-Zeit Kinder waren und deren Vater und / oder Mutter ins KZ deportiert wurde, sie selbst jedoch nicht, wobei jedoch klar ist, dass sie von der Verfolgung auch selbst betroffen waren) mussten wir aus diesem Grunde vorerst beiseite legen, da dies neu verhandelt bzw. definiert werden muss.

Aber bei diesem ersten Versuch, die Öffnungsklausel nachträglich (nachdem wir schon seit dem Frühjahr unsere Informationskampagne auf diese Gruppen von Antragsteller/inne/n orientiert hatten) einzuengen, blieb es nicht. Die neueste Vorgehensweise der deutschen Stiftung und ihrer Rechtsberater ist jetzt, zu behaupten, dass die Öffnungsklausel nicht "beliebig"(!) auf jede Art von NS-Unrecht anzuwenden sei, sondern immer in einem bestimmten Zusammenhang mit den ersten zwei Gruppen (Zwangs- oder Sklavenarbeit, bzw. "haftähnliche Bedingungen") stehen müsse. Faktisch bedeutet dies z.B., dass rassistische Verfolgung von Roma und Juden nach dieser neuen Auslegung an sich noch kein "ausreichendes NS-Unrecht" darstellt (!!!), sondern noch ein weiterer "Tatbestand" hinzukommen muss, damit der/die Antragsteller/in im Rahmen der Öffnungsklausel berücksichtigt werden kann. Abgesehen davon, dass es für uns schockierend war, uns so etwas überhaupt von deutscher Seite anhören zu müssen, handelt es sich meines Erachtens eindeutig um eine nachträglich einengende Auslegung des Gesetzes. In diesem heißt es, dass die Partnerorganisationen im Rahmen der ihnen zugewiesenen Mittel "auch solchen Opfern nationalsozialistischer Unrechtsmaßnahmen (...)" die Leistung gewähren können, "die nicht zu einer der in Satz 1 Nr.1 und 2 genannten Fallgruppen gehören." Und im Paragraph 2 - "Stiftungszweck" heißt es: "Zweck der Stiftung ist es, über Partnerorganisationen Finanzmittel zur Gewährung von Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und von anderem Unrecht aus der Zeit des Nationalsozialismus bereitzustellen." Da steht nicht etwa: "von anderem, mit Zwangs- oder Sklavenarbeit verbundenem NS-Unrecht", oder etwas Ähnliches!

Wir sind zwar jetzt mit der deutschen Seite zu einer Art von Kompromiss bezüglich der Anwendung der Öffnungsklausel in der Tschechischen Republik gelangt, so dass hoffentlich nicht allzu viele Opfer aus der Definition "herausfallen". Unabhängig davon ist es für uns jedoch absolut unverständlich, warum überhaupt von deutscher Seite das Bestreben vorhanden ist, das den Opfern gegenüber sowieso schon restriktive Gesetz nun durch diese nachträglichen Auslegungen noch weiter einzuengen - und damit auch unsere Möglichkeiten, allen NS-Opfern im Rahmen unserer Möglichkeiten zu einer (wenn auch eher symbolischen) Kompensationszahlung zu verhelfen. Geht es der deutschen "Entschädigungsstiftung" etwa darum, von dem wenigen, das sie nach zähen Verhandlungen zu geben bereit waren, noch etwas zurückzubekommen?

Manchmal hat es den Anschein, es handele sich um ein gewisses Moment der Irrationalität. Man könnte doch meinen, die deutsche Seite könne froh sein, sich die Rechtssicherheit billig erkauft, dabei auch etwas Imagepflege bezüglich angeblicher "Vergangenheitsbewältigung" betrieben zu haben und alle Unannehmlichkeiten (z.B. zu entscheiden, welche Opfergruppen in welchem Land Anspruch im Rahmen der Öffnungsklausel haben und welche nicht) getrost den Partnerorganisationen überlassen zu können. Es geht doch nicht darum, dass wir mehr Geld oder sonst irgendetwas mit ihren Zielen Unvereinbares fordern, sondern wir wollen nur eine Möglichkeit, die das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen bietet, zugunsten unserer Antragsteller/innen nutzen.

Eine mögliche Erklärung hängt mit den ungleichen finanziellen Möglichkeiten der verschiedenen Partnerorganisationen bzw. der deutschen Auffassung von "Gerechtigkeit" zusammen: Es bestehen Unterschiede darin, wieviel Geld es der jeweiligen Partnerorganisation gelang zu "erkämpfen" und wieviele potentielle Antragsteller/innen aus welchen Kategorien in ihrem jeweiligen Einzugsbereich leben. Ob und in welchem Umfang die Öffnungsklausel angewandt werden kann, hängt davon ab, wieviel Geld die jeweilige Partnerorganisation zur Verfügung hat. Aus diesem Grunde kann ihre Anwendung in gewissem Sinne als "ungerecht" bezeichnet werden: Die tschechische Partnerorganisation steht z.B. in diesem Sinne relativ gut da und es kann so aussehen, als sei sie fast schon "übertrieben großzügig", während andere die Öffnungsklausel nicht oder in eingeschränkterem Masse anwenden können. Aber dies ist doch in erster Linie eine von deutscher Seite produzierte Ungerechtigkeit, da insgesamt so wenig Geld zur Verfügung gestellt wurde, dass es - auch bei den geringen Summen, die ausgezahlt werden - einfach nicht reichen kann, und da außerdem die letztendliche Verteilung daran lag, wie "kämpferisch" bzw. ausdauernd die jeweilige Delegation war und wie starke Unterstützung sie hinter sich hatte, um ihre Forderungen der deutschen Seite gegenüber durchzusetzen. Und außerdem: Was ist das für eine "Logik"?! Wenn wenigstens in einem oder zwei Ländern mehr Opfergruppen berücksichtigt werden können, ist dies doch immer noch besser als wenn dies nirgends möglich ist - auch, wenn es dann paradoxerweise passieren kann, dass z.B. jemand mit demselben Schicksal, aber unterschiedlichem heutigem Wohnsitz in der Tschechischen Republik etwas bekommt, in Russland aber keineswegs. Doch was hat der russische Antragsteller davon, dass sein tschechischer Leidensgenosse nun auch nichts bekommt?!

So eine Art von "negativer Gerechtigkeit" wäre absurd - insbesondere vor dem Hintergrund, dass die im Zusammenhang mit den "Entschädigungszahlungen" existierenden Ungerechtigkeiten überwiegend der deutschen Seite zuzuschreiben sind bzw. bereits im Wesen der Stiftungsinitiative selbst begründet liegen: z.B. darin, dass sie insgesamt nicht annähernd genügend Geld für auch nur den Versuch einer ernsthaften Kompensation von Zwangs- und Sklavenarbeit und anderen NS-Verbrechen bereitgestellt hat, so dass einige Gruppen von Betroffenen zwangsläufig leer ausgehen.

Andererseits muss man die Tatsache, dass es den Delegationen der Opfer und ihren Anwälten letztendlich gelungen ist, 10 statt der ursprünglich von deutscher Seite vorgesehenen 2 Milliarden DM zu erkämpfen, als Erfolg werten - alles ist relativ...

Ich denke, bei der Bewertung der aktuellen Situation um die sog. "Entschädigungszahlungen" in der Tschechischen Republik ist es nützlich, zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden: einer konkret-praktischen - sozusagen "im kleinen", und einer grundsätzlich-politischen - "im großen".

Bezüglich der ersteren lässt sich konstatieren, dass für die Mehrzahl unserer Antragsteller/innen die Zahlung trotz ihres Almosencharakters und der 56jährigen Verspätung als etwas Positives wahrgenommen wird - im Sinne von "besser als nichts" oder "besser spät als nie". Einige äußerten sich auch dahingehend, dass das Wichtigste nicht einmal das Geld an sich sei, sondern der symbolische Charakter dessen, dass dadurch die NS-Zwangsarbeit von deutscher Seite überhaupt als ein Unrecht eingestanden wird. Viele unserer Antragsteller/innen, auch wenn sie längst das Formular ausgefüllt und Nachweise erbracht hatten, rechneten schon gar nicht mehr damit, dass sie die Zahlung wirklich bekommen würden - oft hören wir Sätze wie: "Ich habe es bis zum letzen Moment nicht geglaubt; ich dachte, es würde bei Worten bleiben und die Deutschen würden sich doch wieder irgendwie aus der Affäre ziehen, wie es ihnen 55 Jahre gelang..." Viele haben auch bereits resigniert, was z.B. die Nachweissuche anbelangt: "Was soll ich denn nach so langer Zeit für Dokumente haben? Soll ich etwa mit meinen fast 80 Jahren Archive abklappern, um dann sowieso nichts zu finden?" Sie sind dann i.d.R. sehr froh, wenn sie erfahren, dass es gar nicht so aussichtslos ist und vor allem, dass wir versuchen, ihnen zu helfen und sie so wenig wie möglich mit bürokratischen Prozeduren zu belasten. Wenn dann die Zahlung schließlich kommt, rufen sie uns vielfach an und bedanken sich für unsere Hilfe, obwohl dies doch einfach unsere Arbeit und kein besonderes Verdienst ist. Aber es freut uns natürlich trotzdem...

Auf dieser konkret-praktischen Ebene ("im kleinen") gibt es also durchaus gute Erfahrungen. Darüber sollte man jedoch nicht den "großen" Rahmen, die grundsätzlich-politische Einordnung des Ganzen vergessen. Dies wurde leider in der hiesigen Presse bisher relativ wenig und meist eher unkritisch bis indifferent gegenüber Deutschland reflektiert. Natürlich sind die endlich angelaufenen Zahlungen relativ gesehen ein "Erfolg"; zugleich ist es aber notwendig, immer wieder zu sagen, wie dies erreicht wurde - denn die Entstehung der Stiftungsinitiative ist alles andere als eine "freiwillige Geste" den Opfern gegenüber. Sie ist im Gegenteil etwas, was unter massivem Druck von außen, d.h. aus Angst vor Sammelklagen, Profit- und Imageverlusten der deutschen Industrie, zustande kam. Von Anfang an bedurfte es einer immensen Kraftanstrengung der ehemaligen Zwangs- und Sklavenarbeiter/innen und der US-Anwälte, bzw. später der einzelnen Delegationen; und immer war ein hohes Maß an Koordination und Kooperation (z.B. der tschechischen und polnischen Delegation) notwendig, um nicht gegeneinander ausgespielt zu werden. Im Verlauf der Verhandlungen musste jede Kleinigkeit mühsam erkämpft werden, Großzügigkeit suchte man bei der deutschen Seite vergebens. Und etwas Ähnliches erleben wir, wie bereits weiter oben ausgeführt, auch jetzt - z.B. mit dem deutschen Prüfteam oder der sog. Öffnungsklausel.

Ein kritischer Rückblick auf den Zeitraum von Beginn der Verhandlungen um die sog. "Entschädigung" bis zu den heutigen Erfahrungen in der Tschechischen Republik und anderswo zeigt, dass Deutschland sich keineswegs mit seiner NS-Vergangenheit ernsthaft auseinandergesetzt, geschweige denn wirklich Konsequenzen daraus gezogen hat, wenn es solch eine durchgängige Abwehrhaltung den Opfern gegenüber gibt. Dies zu analysieren und eine tiefergehende, kritische Diskussion darüber zu führen, ist etwas, was m.E. in der Tschechischen Republik noch ansteht.

 hagalil.com / 02-01-2002

 


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