Verfolgte jüdische Anwälte:
Erinnerung an Dr. Elisabeth Kohn
Institut für Kunst und Forschung, München
Nach zweijährigen Vorarbeiten wird auf Anregung
des Künstlers Wolfram Kastner in der Juristischen Fakultät der
Münchner Universität ein Erinnerungszeichen für die jüdische
Rechtsanwältin Dr. Elisabeth Kohn eingerichtet und öffentlich
vorgestellt. Zu der Veranstaltung am Montag, 7. Juli 2003, 16.00
Uhr im 1. Obergeschoss des Juristischen Seminars,
Professor-Huber-Platz 2, lädt der Dekan Professor Dr. Heinz
Schöch ein.
Das Denkzeichen im Juristischen Seminar soll an
sie und die jüdischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erinnern,
die in München verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden. Es richtet
sich insbesondere an die heutigen Studenten und Angehörigen der
Universität mit dem Satz: "Die Erinnerung verpflichtet uns, den
Anfängen zu wehren." Der unermüdlichen Unterstützung von Professor
Dr. Hermann Nehlsen ist es zu verdanken, dass dieses
Erinnerungszeichen möglich wurde.
Ideell und materiell zur Realisierung beigetragen
haben: der C.H. Beck Verlag, die Initiative Bayrischer
Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger, die Rechtsanwaltskammer
Oberlandesgerichtsbezirk München, Rechtsanwältin Jutta Bartling,
Rechtsanwalt Antonio Campanella, Rechstanwalt Dr. Otto Gritschneder,
Prof. Dr. Andreas Heldrich, der Münchener Anwaltsverein, Prof. Dr.
Hermann Nehlsen, Rechtsanwalt Michael Sack, Rechtsanwälte Heinhold,
Wächtler u.a., Rechtsanwältin Roswitha Wolff, die Stiftung
Erinnerung und Dr. Reinhard Weber. Das Bayerische Justizministerium
und das Unterrichtsministerium trugen leider nichts dazu bei ("Eine
Ausgabeermächtigung in einem Haushaltstitel ist nicht vorhanden"
schrieb das Justizministerium, das bis dieses Jahr die
Kriegsverbrechergräber in Landsberg mit erheblichem Aufwand
ausgestattet hat.)
Die Medizinische Fakultät der Münchner Universität
hätte viel Anlass und gute Möglichkeiten ein entsprechendes Zeichen
der Erinnerung und Würdigung für die verfolgten jüdischen Ärztinnen
und Ärzte in ihren Gebäuden einzurichten.
Dr. Elisabeth Kohn wurde am 11.02.1902 in München
geboren. Sie besuchte das Humanistische Gymnasium und studierte als
eine der wenigen Frauen an der Universität München
Rechtswissenschaften, neben Philosophie, Psychologie und Pädagogik.
Sie wurde am 24.07.1924 zum Dr. phil. promoviert und absolvierte
1925 die 1. Juristische Staatsprüfung für den Höheren Justiz- und
Verwaltungsdienst. Die Referendarzeit verbrachte sie u.a. in der
Kanzlei von Dr. jur. Hans Fröhlich. Nach dem Vorbereitungsdienst und
der 2. Juristischen Staatsprüfung wurde sie am 7.11.1928 als
Rechtsanwältin bei den Landgerichten I und II und beim
Oberlandesgericht München zugelassen.
Sie trat in die bekannte Kanzlei der Anwälte Dr.
Max Hirschberg, Dr. Philipp Loewenfeld und Dr. Ludwig Regenstein
ein. Ein Schwerpunkt dieser Kanzlei waren politische Strafprozesse.
Sie vertrat sowohl Münchener jüdische Bürger als auch die
südbayrische SPD. Bis zum Berufsverbot konnte Elisabeth Kohn knapp 5
Jahre als Rechtsanwältin arbeiten.
Sie legte erfolglos ein "Gesuch um Aufhebung des
Vertretungsverbots" ein. In der Ablehnung des Justizministeriums
hieß es u.a. "Sie ist jung und ledig und kann in irgendeinem
Frauenberuf unterkommen." Nach Entzug der Zulassung als
Rechtsanwältin am 5.08.1933 arbeitete sie in der Fürsorgeabteilung
des Wohlfahrtsamtes der Israelitischen Kultusgemeinde.
Elisabeth Kohn war nicht nur eine besonders kluge
und mutige Frau ihrer Zeit, sondern auch neben ihrem Beruf sozial
sehr engagiert. Wegen ihrer Tätigkeit für die SPD, die Liga für
Menschenrechte, den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund und die
SPD-Zeitung "Münchner Post" war sie den Nationalsozialisten
besonders verhasst.
Obwohl sie und ihre Schwester, die Malerin Marie
Luise Kohn, der Mutter zuliebe auf eine Emigration verzichteten,
hielt sie im Winterhalbjahr 1935/36 bei der Zionistischen Ortsgruppe
einen Kurs "Emigration und Alija", der Juden auf eine Emigration
nach Palästina vorbereitete. Ab November 1940 arbeitete sie als
Hilfskonsulentin bei Dr. Julius Baer, dem die Nationalsozialisten
ebenfalls die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen hatten, und beriet
jüdische Flüchtlinge/"Auswanderer".
1939 wurde die Familie gezwungen, nach 25 Jahren
ihre Wohnung zu verlassen und innerhalb von zwei Jahren in immer
kürzeren Abständen viermal umzuziehen. Dabei wurde die Familie
auseinander gerissen und beraubt. Die letzten 5 Tage vor ihrer
Deportation am 20.11.1941 verbrachten sie zusammen in einer Pension.
Elisabeth Kohn wurde mit ihrer Schwester und ihrer Mutter nach Riga
verschleppt und am 25.11.1941 bei Kowno zusammen mit 1000 Münchener
Juden getötet.
Mit diesem Denkzeichen soll die Erinnerung wach
gehalten werden an die 205 jüdischen Anwältinnen und Anwälte, die
hier lebten, studierten und sich beruflich für die Rechte anderer
engagierten, selbst aber Opfer des deutschen NS-(Un)Rechtssystems
und beraubt, entrechtet, gequält, vertrieben oder ermordet wurden.
Die Erinnerung verpflichtet uns, den Anfängen zu
wehren.
Mehr von Wolfram Kastner:
hagalil.com
01-07-03 |