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Frauen im Nationalsozialismus (II):
"Zyklon B machte keinen Unterschied"

Von Andrea Übelhack

Dessen ist sich Ruth Bondy sicher. Die Überlebende der Lager Auschwitz und Bergen-Belsen wurde gebeten, für den Sammelband "Frauen im Holocaust" einen Beitrag über Frauen in Theresienstadt und im Familienlager Birkenau zu schreiben. Sie verspürte dabei zunächst ein großes Unbehagen: "Jegliche Unterteilung des Holocausts und seiner Opfer nach Geschlecht kam mir anstößig vor. Die Frage des Geschlechts schien zu einer anderen Generation, zu einem anderen Zeitalter zu gehören."

Und doch schrieb Ruth Bondy ihre Erinnerungen an die Lager nieder, da sie nicht wollte, daß das Schicksal der Frauen von Theresienstadt vergessen wird. Auch wenn es im Sterben in den Gaskammern, in den Ghettos und bei der Zwangsarbeit keinen Unterschied gibt, ist es dennoch legitim, nach geschlechterspezifischen Erfahrungen und Realitäten des Holocausts zu fragen.

Ruth Bondy fand schließlich viele Unterschiede, vor allem im "Alltag" von Theresienstadt. Sei es, daß Frauen öfter versuchten, ihren Schlafplatz zu schmücken und in ein Ersatzheim zu verwandeln oder daß Frauen mehr auf Hygiene achteten und den täglichen Kampf  gegen Schmutz und Insekten erfolgreicher fochten, indem sie flickten und wuschen. Auch die alltägliche Diskriminierung von Seiten der Männer bestand weiterhin fort. Frauen bekamen für dieselben Arbeiten ein Drittel weniger Lohn und die Mitglieder des Judenrates waren ausschließlich Männer. 

Der von Barbara Distel, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, herausgegebene Sammelband bringt die speziellen Bedingungen weiblicher Opfer deutlich zum Vorschein, ohne dabei die männlichen Opfer auszugrenzen. Auch die Herausgeberin rechtfertigt den Ansatz in ihrem Vorwort und zeichnet die Stationen nach, die allmählich das Bewußtsein für das Schicksal von Frauen im Nationalsozialismus geschärft haben. 

Erst in den 70er Jahren, vor allem durch die Majdanek-Prozesse in Düsseldorf im Jahr 1975, wurde das Thema "Frauen im Holocaust" zum Thema der Berichterstattung. Dabei waren aber zunächst nur die Täterinnen im Visier. Gleichzeitig, mit der stärker werdenden Frauenbewegung, kam es vor allem in den USA zu einem Umdenken. Zunächst waren es Frauen selbst, die sich für das Schicksal von Frauen interessierten. 1983 fand in New York eine Tagung unter dem Titel "Frauen überleben den Holocaust" statt, bei der erstmals 400 Teilnehmerinnen über die spezielle Situation und Erfahrungen von Frauen im Nationalsozialismus diskutieren.

Die Geschichtswissenschaft in Deutschland brauchte dagegen noch etwas länger und war auf Impulse von außen angewiesen. In diesem Zusammenhang waren unter anderem die Forschungen von Claudia Koonz, Gudrun Schwarz und Atina Grossmann von entscheidender Bedeutung.

"Frauen im Holocaust" faßt die Ergebnisse der Forschungen zusammen. Durch Beiträge von Wissenschaftlern wie Wolfgang Benz, Gudrun Schwarz und Claudia Schoppmann bekommt der Leser einen guten Überblick über alle Bereiche geschlechterspezifischer Unterschiede im Nationalsozialismus. In sechs Kapiteln werden Flucht und Exil, Ghettos und Konzentrationslager, das Leben im Untergrund und im Versteck, Widerstand, der Bereich der Täterinnen und das Leben nach dem Holocaust abgehandelt.

Dabei wechseln sich die Beiträge mit den Berichten von Überlebenden ab. Darunter sind sehr beeindruckende und schonungslose Schilderungen, wie beispielsweise die Erinnerungen von Margit Schultz an Auschwitz und Peterswaldau. Sie spricht immer wieder von Problemen, die ausschließlich Frauen zu erdulden hatten, wie Hygiene oder Schwangerschaft.

Auch eher unbekannte Kapitel des Holocausts werden angesprochen. So berichten vier Überlebende von ihrer Deportation von Rhodos. Auf der Insel lebten etwa 2000 Juden. Nach dem Sturz Mussolinis kam die Insel unter deutsche Besetzung, im Juli 1944 wurde die Deportation der Juden eingeleitet.

Trotz aller Unterschiede, die im Sammelband herausgearbeitet werden und die in jedem Fall von der Forschung weiter zu vertiefen sind, sollte man sich stets vergegenwärtigen, daß der letzte Moment eben keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern machte. Oder wie es Ruth Bondy formuliert: "Ich ende, wo ich begonnen habe: Die meisten Häftlinge von Theresienstadt und dem Familielager Birkenau, Männer wie Frauen, versuchten, bis zum Ende human zu bleiben, vereint als menschliche Wesen."

Barbara Distel (Hrsg.): Frauen im Holocaust
Bleicher Verlag Gerlingen 2001
Euro 25,00

haGalil onLine 28-09-2001

 


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